Nachruf auf Graciano Rocchigiani Es wird keinen zweiten „Rocky“ geben

Düsseldorf · Der frühere Boxweltmeister Graciano Rocchigiani ist im Alter von 54 Jahren ums Leben gekommen. Einen Nachfolger für „Rocky“ sucht man vergebens. Ein Nachruf.

Das Leben von Graciano Rocchigiani
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Das war Graciano Rocchigiani

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Foto: dpa, Peer Grimm

Graciano Rocchigiani verkörperte mit 54 Jahren das blühende Leben. Zuletzt - noch vor wenigen Tagen - trat der einstige Boxweltmeister im Internet und im Fernsehen als der allseits geachtete - und gefürchtete - Boxexperte schlechthin auf. Mit rauchiger Stimme und gegelten grauen Haarstoppeln sagte er offen und ehrlich, kurz und knackig, mitunter sarkastisch, was Sache und was ein klares Fehlurteil ist.

„Rocky“, unter dessen Namen und Aufsicht in einer großen Auslese-Aktion in München erst unlängst Nachfolger gesucht wurden, war eine von Gerechtigkeitsempfinden geprägte grundehrliche Haut. Auch gegenüber sich selbst. “Klar, ich bin der schlimme Finger“, hat er einmal in einem „Stern“-Interview über sich und sein wildes Leben geurteilt.

Die Sportwelt trauert um Graciano Rocchigiani
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Foto: AP/Markus Schreiber

Nachfolger für „Rocky“ gesucht? Vergesst es. Einen raubeinigen Haudegen und einen extrovertierten Typen wie diesen echten Berliner „Rocky“ wird es nie wieder geben. Warum die ersten Zeilen in der Vergangenheit geschrieben sind? „Rocky“ ist tot, als Fußgänger am Dienstag in Italien von einem Auto überfahren. Ein Schock, vor allem auch für all jene, die seine Karriere hautnah begleitet haben, von den Amateuren, über die Profi-Weltmeisterschaften bis zu gemeinsamen Experten-Runden fürs Bezahlfernsehen.

Seine legendären Ringschlachten haben sich im Gedächtnis jedes Boxfans jener Zeit in den achtziger/neunziger Jahren eingeprägt. Die WM-Duelle im Halbschwergewicht mit Henry Maske und Dariusz „Tiger“ Michalzewski oder der EM-Kampf in Düsseldorf vor 27 Jahren gegen Alex Blanchard waren Spektakel pur. In der zweiten Runde war das rechte Auge komplett zugeschwollen. „Einäugig“ kämpfte Graziano Rocchigiani weiter und besiegte den Holländer in der 9.Runde tatsächlich noch durch K.o.. Sein riesiges Kämpferherz, sein kaum zu brechender Behauptungswille machten dem Film-Rocky alias Sylvester Stallone alle Ehre.

„Graziano, sie werden Dich bescheißen, glaube es mir“, brüllte seine Frau Christine nach dem Schlussgong des ersten Kampfes „Wessi gegen Ossi“ (Rocchigiani) zum Ring. Tatsächlich war der Punktsieg Henry Maskes anno 1995 in der Dortmunder Westfalenhalle ein Fehlurteil. Das sah selbst Maske so. Das Gentleman-im-Ring-Idol jener Epoche forderte seinen Manager/Promoter Wilfried Sauerland auf, sofort einen Rückkampf zu arrangieren. Den verlor dann „Rocky“ unstrittig nach Punkten.

Unrecht widerfuhr ihm auch im ersten Kampf gegen den „Tiger“. Graciano Rocchigiani bereitete sich sieben Wochen lang im sagenumwobenen „Kronk Gym“ Emanuel Stewards in Detroit vor. Für eine Story hatte ich mich mit Christine und ihm verabredet, war eigens mit einem Fotografen von den Olympischen Spielen in Atlanta in die Autostadt geflogen. Wir waren in Gracianos Apartment verabredet, fuhren gemeinsam in seinem Auto ins Gym – und wurden beim Sparring vor die Kellertür geschickt. So unberechenbar war er eben. Man musste sich auf seine Launen einstellen. „Keen Bock auf Jequatache.“ Natürlich habe ich durch einen Spalt zugeschaut und ihm anschließend provozierend mein Kompliment über seine Form zum Ausdruck gebracht. „Haste gelinst“, gab sich Rocchigiani nachsichtig.

Seine Kronk-Form bekam Dariusz Michalzewski in Hamburg fürchterlich zu spüren. Der „Tiger“ wurde von einer Linken des Rechtsauslegers hart getroffen. Als jedoch der Ringrichter Rocchigiani wegen Nachschlagens ermahnte, taumelte Michalczewski auf einmal durch den Ring, mimte den schwer Getroffenen und war nicht willens, sich zum Kampf zu stellen. Wohl wissend: Der Ringrichter hatte keine andere Wahl, als den total überlegenen „Rocky“ zu disqualifizieren.

Oft genug geriet „Grace“, wie ihn sein Bruder Ralf, ebenfalls Boxweltmeister, und Freunde nannten, mit dem Gesetz in Konflikt. Er war berüchtigt für seine Eskapaden, erfuhr aber auch dabei die Ungerechtigkeit des Lebens. Als er sechzig Tage im Knast verbrachte, waren die Zeitungen voll mit Schlagzeilen. Als er wegen erwiesener Unschuld freikam, „war ick nur noch ne Kurzmeldung wert“, hatte er sich beschwert.

Einmal hatte mir Graciano Rocchigiani wegen eines missliebigen Artikels Prügel angedroht. Bei unserer letzten Begegnung hat er mich innig umarmt. Im Kern war Graciano Rocchigiani ein herzensguter Mensch. Und Ehrlichkeit als Lebensmotto zu pflegen, ist ja keine Charakterschwäche. „Rocky“, der echte aus dem Leben, ist Legende.

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