Vandalismus ja - Gewalt eher selten So laufen Auswärtsfahrten im Sonderzug

Mönchengladbach · Borussias Fanszene ist schockiert: Auf der Rückfahrt mit dem Sonderzug aus München soll ein 30-Jährige eine 19-Jährige sexuell schwer missbraucht haben. Fahrten wie diese organisieren weder der Verein noch der Supporters Club, sondern ganz normale Fans.

Bei kürzeren Reisen wie hier zum Derby in Köln stellt die Deutsche Bahn meist solche Entlastungszüge. Von Fans gecharterte Sonderzüge kommen bei längeren Fahrten zum Einsatz.

Bei kürzeren Reisen wie hier zum Derby in Köln stellt die Deutsche Bahn meist solche Entlastungszüge. Von Fans gecharterte Sonderzüge kommen bei längeren Fahrten zum Einsatz.

Foto: Hans-Peter Reichartz

Borussias Fanszene ist schockiert: Auf der Rückfahrt mit dem Sonderzug aus München soll ein Mann eine junge Frau sexuell schwer missbraucht haben. Fahrten wie diese organisieren weder der Verein noch der Supporters Club, sondern ganz normale Fans.

Wer schon einmal in den Mönchengladbacher Hauptbahnhof eingefahren ist, dürfte die blau-beigefarbenen Waggons der Centralbahn AG kennen. Sie parken dort unter der Woche auf den Gleisen. Und wer schon einmal eine Sonderzug-Tour zu einem Borussia-Auswärtsspiel mitgemacht hat, der kennt sie ganz sicher. Am frühen Samstagmorgen stiegen Hunderte Fans in solch einen privat gecharterten Sonderzug ein, bereitgestellt von dem Eisenbahn-Unternehmen aus der Schweiz. Das Ziel: Borussias Auswärtsspiel beim FC Bayern. Am Ende ihrer Tour sollte sie in der Heimat ein Großaufgebot der Bundespolizei erwarten, weil ein 30-jähriger Mönchengladbacher eine 19-Jährige auf der Zugtoilette sexuell schwer missbraucht haben soll.

"Bereits vier Stunden nach der Terminierung unseres Spiels in München können wir den Sonderzug als ausgebucht melden!", schrieben die Organisatoren von "Haba on Tour" Anfang März freudig bei Facebook, 750 Karten für je 58 Euro waren schnell weg. So ist es meistens. Große Gewinne will "Haba on Tour" nach eigenen Angaben nicht einfahren, hinter dem Unternehmen aus Jüchen stecken ganz normale Fans, die auch regelmäßig Bustouren organisieren oder wie zuletzt nach Mainz sogar eine mit dem Schiff.

Meistens besteht so ein Fußball-Sonderzug aus Waggons mit je zwölf Sechserabteilen. In der Mitte gibt es einen oder zwei sogenannte Sambawagen, in denen gefeiert wird. Hinter einem Tresen wird Bier ausgeschenkt, ein DJ legt Musik auf. Sonderzüge sind die Oldschool-Variante des Auswärtsfahrens. Wer Komfort sucht, ist völlig falsch, auch wenn die Abteile ihren Charme haben. Von innen sehen die Waggons aus, als könne jederzeit Fritz Walter mit dem Weltmeister-Pokal von 1954 den Kopf ins Abteil stecken.

Berlin, München, Augsburg oder Stuttgart sind typische Sonderzug-Ziele, der Aufwand muss sich ja lohnen. Manchmal geht es sogar ins Ausland, 2014 fuhr zum Beispiel ein Charterzug bis nach Zürich zum Europa-League-Spiel. Schnell kommen also 24 Stunden Reisezeit zusammen, in deren Mitte tatsächlich 90 Minuten Fußball stattfinden. Am nächsten Morgen, oftmals ist es schon wieder hell, spuckt der Sonderzug dann die Mehrheit der Mitreisenden in Mönchengladbach aus — mal verkatert wegen des Alkohols, mal wegen des Ergebnisses (am Wochenende verlor Borussia 1:5), oftmals aus beiden Gründen. Fest steht: Eine gewisse Kondition ist schon nötig, auch wenn man theoretisch ein Auge zudrücken kann in den Abteilen.

Ein Vorfall wie in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wie er nun die Gladbacher Fanszene schockiert, ist ein trauriges Novum. Der mutmaßliche Täter hat sich mittlerweile gestellt. "Die Fanszene war bisher ein geschützter Bereich, ein einzigartiger Freiraum, der von gegenseitigem Respekt untereinander lebte", schreibt der FPMG Supporters Club, die offizielle Fanvertretung, auf ihrer Webseite. "Es ist daher ein absoluter Tabubruch, dass es innerhalb der Fanzene zu einem sexuellen Übergriff gekommen sein soll."

Auch Borussia-Präsident zeigte Rolf Königs sich schockiert. "Als ich heute Morgen die Zeitung aufgeschlagen habe, war ich betroffen, nicht nur traurig. Was sich da in dem Sonderzug abgespielt hat, hat bei uns keinen Platz. Das ist nicht in Einklang zu bringen mit unserer Vereinskultur, das ist das Gegenteil von Kultur", sagte Königs auf Borussias Jahreshauptversammlung am Montag.

Ärger hat es nach Sonderzugfahrten in der Vergangenheit häufiger gegeben, doch dabei ging es nicht um körperliche Gewalt (die Borussia-Fans sind im Zug auch unter sich), sondern meist um ausufernden Vandalismus. Das Fanprojekt organisiert deshalb schon seit fünf Jahren keine Sonderzüge mehr. Zwischenzeitlich übernahm das ein ehemaliges FPMG-Vorstandsmitglied auf eigene Kosten, blieb aber nach einer Berlin-Reise im Oktober 2013 auf einem Minus von mehr als 3000 Euro sitzen — nachdem andere Fans bereits Spenden gesammelt hatten.

Polizisten waren auf der Fahrt nach München und zurück wie üblich nicht im Zug. In der Regel setzen die Organisatoren auf die vielzitierte Selbstregulierung in der Fanszene oder es fahren Ordner mit. Unter den 750 Mitfahrern am Wochenende waren sowohl sogenannte Normalos als auch Kuttenträger und Ultras — das komplette Spektrum der Borussia-Fans eben, von Jung bis Alt.

Für Aufsehen hatten Gladbacher Anhänger in den vergangenen Wochen häufiger gesorgt. In Minden gab es Diebstähle in einem Supermarkt, wenig später entblößte sich ein Fan im Regionalexpress 6 zwischen Bielefeld und Dortmund vor einer jungen Frau. Am Osterwochenende rächten sich Ultras in Hoffenheim an ihren Kölner Pendants für einen Fahnenklau beim Derby Anfang Januar. Was sich nun auf der Rückfahrt des Sonderzuges von München nach Mönchengladbach ereignet haben soll, stellt einen traurigen Tiefpunkt dar. Borussias Geschäftsführer Stephan Schippers sprach am Sonntagabend von einer "Schande, dass Borussia mit einer solchen Tat in Verbindung gebracht wird."

(jaso)
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