Analyse Nordkoreas atomare Erpressung

Düsseldorf · Unbeirrt von Sanktionsdrohungen treibt die Kim-Diktatur ihre Atom-Rüstung voran. China scheut den Bruch mit dem Verbündeten. So bleibt nur die Hoffnung auf einen Zerfall des Regimes. Erste Anzeichen dafür gibt es.

Als ein Techniker auf dem streng abgeschirmten nordkoreanischen Testgelände Punggye Ri in der Nacht zu gestern auf den Knopf drückte, zündete er einen tief unter dem Gebirge vergrabenen nuklearen Sprengsatz, der mindestens ein Drittel der Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe hatte. Vor allem aber sandte er ein politisches Signal rund um den Globus: Die nordkoreanische Kim-Diktatur wird niemals freiwillig auf die Atombombe verzichten. Ganz im Gegenteil. Nur die schrecklichste aller Massenvernichtungswaffen, davon ist offenbar auch Kim Jong Un, der jüngste Vertreter der Dynastie, überzeugt, sichert das Überleben des Regimes.

Die Botschaft richtete sich vor allem an die USA. Nicht von ungefähr war auch dieser dritte nordkoreanische Atomtest nach 2006 und 2009 auf ein für Amerika wichtiges Datum gelegt worden: Einige Stunden nach der Explosion, deren Erschütterungen als kleines Erdbeben weltweit registriert wurden, hielt US-Präsident Barack Obama in Washington seine wichtige Rede zur Lage der Nation. Es war also eine bewusste Provokation – und vielleicht sogar eine ernste Warnung. Denn erste Auswertungen des Atomtests legen immerhin die Möglichkeit nahe, dass Nordkorea mit der Entwicklung kompakter nuklearer Sprengsätze einen großen Schritt weitergekommen sein könnte. Diese aber sind Voraussetzung für den Bau von Gefechtsköpfen, die sich auf Interkontinentalraketen montieren lassen, die eines Tages auch die Westküste der USA und Teile Europas erreichen könnten. Erst im Dezember hatte Nordkorea erfolgreich eine angeblich rein zivilen Zwecken dienende Rakete ins All geschossen, was beweist, dass das Regime auch bei der Entwicklung von Trägersystemen vorankommt.

Um den militärischen Nutzen eines Kernwaffenarsenals geht es Kim Jong Un dabei jedoch nur in zweiter Linie. Er will wie schon sein Vater Kim Jong Il vor allem das erpresserische Potenzial der nordkoreanischen Bombe nutzen. Sie ist für das Paria-Regime der einzige Garant für internationalen Einfluss.

Dabei setzt der Diktator darauf, dass der große Nachbar China, obwohl durch den neuen Test erheblich verärgert, wie bisher allzu harte Sanktionen gegen das Regime in Pjöngjang unterlaufen wird. Nordkorea ist wegen seiner reichen Vorkommen an Erzen und Kohle wichtig für China, vor allem aber wegen seiner Rolle als Pufferzone zu den amerikafreundlichen Nachbarn im Süden. Stabilität auf der koreanischen Halbinsel ist Peking allemal wichtiger als zu verhindern, dass die nordkoreanische Diktatur sich atomar bewaffnet.

Die Lage ist freilich für Peking erheblich komplizierter geworden, seit China säbelrasselnd versucht, seine Dominanz vor der eigenen Küste durchzusetzen. Pekings Expansionsstreben im südchinesischen Meer hat bereits dazu geführt, dass einige Anrainerstaaten wieder stärker den Schutz der USA suchen. Die forcierte nordkoreanische Atomrüstung könnte nun Japan und Südkorea sowie einige andere Länder der Region dazu bewegen, sich angesichts der Bedrohung über kurz oder lang offiziell mit Amerika zu verbünden – das wäre ganz und gar nicht im Sinne der Strategen in Peking.

Wie man die Sache auch wendet, das offenbar unaufhaltsame Streben der Kim-Dynastie nach der Bombe wird die Kriegsgefahr in Asien erhöhen. Und möglicherweise sogar weltweit ein neues nukleares Wettrüsten anheizen. Ausgerechnet während Politiker im Westen, allen voran US-Präsident Obama, erneut laut über eine weitere drastische Reduzierung der nuklearen Arsenale nachdenken, könnte das nordkoreanische Vorbild Schule machen. Zum einen fürchten Experten, Pjöngjang könnte sein Test-Wissen an andere Staaten verkaufen wie beispielsweise den Iran. Zum anderen könnte der Atomwaffensperrvertrag durch den Fall Nordkorea endgültig als stumpfes Instrument entlarvt werden. Das Land ist als erstes aus dem Vertrag ausgestiegen und hat es trotz aller internationalen Bemühungen faktisch geschafft, zur informellen Atommacht aufzusteigen.

Es gibt in Wahrheit keinen Plan, wie man Nordkoreas autistisches Regime vom Weg zur Bombe abbringen könnte. Sanktionen haben sich als wirkungslos erwiesen und würden im Zweifelsfall nur wieder die ohnehin schon darbende Bevölkerung treffen. Und ein präventiver Angriff auf die Atomanlagen des Landes, wie er im Fall des Irans diskutiert wird, scheint so völlig ausgeschlossen, dass er von den Verantwortlichen nicht einmal in Form einer hypothetischen Drohung erwähnt wird.

So kann man nur darauf setzen, dass auch das finsterste Regime der Welt sich am Ende dem Wandel nicht entziehen kann. Die Hoffnung, der junge Kim Jong Un mit seinem unkonventionellen Auftreten und seiner modisch gekleideten Frau könnte sich als nordkoreanischer Gorbatschow entpuppen, wurde zwar gründlich enttäuscht. Aber etwas Glasnost hält trotzdem Einzug in Nordkorea. Immer noch schmachten mindestens 200 000 politische Gefangene in Arbeitslagern, immer noch werden erwischte Flüchtlinge und ihre Familienangehörigen an die Wand gestellt. Aber es erreichen auch immer mehr Informationen über die Außenwelt die über Jahrzehnte streng abgeschotteten Nordkoreaner. Und was Bilder aus der glänzenden westlichen Konsumwelt an politischer Sprengwirkung erzeugen können, das hat sich während des Kalten Krieges in Europa gezeigt.

Erste Anzeichen für einen ähnlichen Wandel in Nordkorea gibt es. Nach den dramatischen Hungerkrisen der 90er Jahre musste das Regime die Entwicklung eines ausgedehnten Schwarzmarkts dulden. Ausländische Geschäftsleute, die das Land regelmäßig bereisen, berichten vom Aufkommen einer neuen Schicht von Nordkoreanern, die es mit Handel und Schmuggel aller Art zu teils beachtlichem Wohlstand gebracht hat. Viele dieser verkappten Kapitalisten sind reich genug, um Parteifunktionäre und Behörden zu schmieren, damit sie in aller Ruhe ihren Geschäften nachgehen können. Anders als früher entscheidet damit nicht mehr ausschließlich die Nähe zum Führungszirkel um die Kims über den Erfolg in Nordkorea, sondern der Zugang zu Devisen – das ist eine Revolution.

(RP)
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