Otto Schily wird 80 Vom RAF-Anwalt zum "eisernen Otto"

München · An Otto Schily lässt sich bald die gesamte Geschichte der Bundesrepublik erzählen. Er wuchs auf bei Waldorf-Eltern, war RAF-Anwalt, gründete die Grünen und wurde später zum Law-and-Order-Minister. Legendär wurde sein Satz: "In meinem Ministerium kann jeder machen, was ich will." Am Freitag wird er 80.

80 Jahre Otto Schily
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Er gehört zu einer aussterbenden Spezies im deutschen Politikbetrieb: im tiefroten politischen Milieu gestartet und am Ende als konservativ wahrgenommen, mit Brüchen im Lebenslauf und einer unbändigen Streitlust.

Otto Schily hat in seinen Jahrzehnten als Politiker so viele Facetten wie kaum ein anderer gezeigt. Der Mann, der als RAF-Anwalt erste öffentliche Aufmerksamkeit erlangte, Mitgründer der Grünen war und als Bundesinnenminister der SPD zum "eisernen Otto" wurde, feiert am Freitag seinen 80. Geburtstag.

Schily wurde am 20. Juli 1932 in Bochum geboren. Sein Vater, ein Hüttendirektor, und seine Mutter waren Antroposophen, also Anhänger der Lehren von Rudolf Steiner. 1941 durchsuchten die Nationalsozialisten deshalb Schilys Elternhaus und beschlagnahmten antroposophische Literatur - für den jungen Schily eine prägende Erfahrung, die den Widerstandsgeist weckte.

Schily studierte in München, Hamburg und Berlin Jura und Politikwissenschaft. 1963 gründete der Jurist eine eigene Anwaltskanzlei. Seine erste Frau brachte ihn mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund in Kontakt, Schily schloss Freundschaft mit Rudi Dutschke und Horst Mahler, zwei der bekanntesten Köpfe der 68er Szene.

Ab 1971 verteidigte er den RAF-Terroristen Mahler, ab 1975 im Stammheimer Prozess die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Schily griff die deutschen Sicherheitskräfte damals scharf an und musste sich später immer wieder gegen den Eindruck wehren, sich mit den Zielen der RAF identifiziert zu haben.

Erst mit fast 50 Jahren begann Schily, sich selbst politisch zu engagieren. 1980 stieg er bei den Grünen ein. 1983 schaffte er es in den Bundestag und wurde neben Petra Kelly und Marieluise Beck einer der ersten Fraktionssprecher. Interne Rivalitäten, das Rotationsprinzip bei den Grünen, seine Bereitschaft zu einer Koalition mit der SPD und seine Dickschädeligkeit brachten den "Realo" Schily in seiner Partei wiederholt unter Druck. Nach langen Querelen wechselte er Anfang November 1989 zur SPD.

Wegen der Brüche in seiner Vita nennt sich Schily selbst "vielseitig". Immerhin fand er bei den Sozialdemokraten eine dauerhafte politische Heimat. Diese nutzten seine rhetorische Schärfe, entsandten ihn in Untersuchungsausschüsse und machten ihn 1994 zum stellvertretenden Fraktionschef. Dass er im rentenfähigen Alter von 66 Jahren von Kanzler Gerhard Schröder zum Innenminister gemacht wurde, überraschte dennoch.

Der "liberale Kommunist", so eine Selbstbeschreibung wegen seiner Vorliebe für soziale Verantwortung gepaart mit Freiheit, entwickelte sich in seinem Amt schnell zu einem Law-and-order-Politiker. "Otto Schily ist bei mir in die Lehre gegangen", sollte bald der bis dahin als schärfster Landesinnenminister geltende Günther Beckstein von der CSU sagen.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ließ sich nicht mehr unterscheiden, wer von beiden Lehrling und wer Meister war. Schily setzte mit Unterstützung der Union mehrere Sicherheitspakete durch, im Volksmund als "Otto Kataloge" bespöttelt und von manchen als Angriff auf die Bürgerrechte gesehen.

Schily, der in zweiter Ehe verheiratet ist und zwei erwachsene Töchter hat, zog für sich aus der neuen Terrorbedrohung die Lehre, immer autoritärer aufzutreten. "In meinem Ministerium kann jeder tun, was ich will", sagte er etwa. Das war scherzhaft gemeint, wurde von vielen aber als ganz real empfunden.

So selbstbewusst Schily stets auftrat und auftritt, so schmerzhaft fielen seine Niederlagen beim Vorgehen gegen Rechtsextremismus aus. Unter seiner Verantwortung scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht ein NPD-Verbot. Und zuletzt musste der 2005 als Minister und 2009 als Bundestagsabgeordneter ausgeschiedene Schily kleinlaut auch ein Versagen bei der Mordserie des Zwickauer Neonazi-Trios eingestehen. "Dafür, dass wir der NSU-Terrorgruppe nicht früher auf die Spur gekommen sind, tragen ich und die Länderinnenminister die politische Verantwortung."

(AFP)
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