Interview mit Generalmajor Jörg Vollmer Deutsche Kampfhubschrauber nach Afghanistan

Düsseldorf · Die Bundeswehr wird in Afghanistan erstmals den neuen Kampfhubschrauber "Tiger" einsetzen. Sie sollen spätestens Anfang nächsten Jahres in der Krisenregion im Einsatz sein, wie Generalmajor Jörg Vollmer im Interview mit unserer Redaktion erklärt.

 Generalmajor Jörg Vollmer im Interview über das Wehrpflicht-Ende, den Afghanistan-Abzug und den Bundeswehr-Umbau.

Generalmajor Jörg Vollmer im Interview über das Wehrpflicht-Ende, den Afghanistan-Abzug und den Bundeswehr-Umbau.

Foto: RP/Helmut Michelis

Generalmajor Jörg Vollmer führt die Division Spezielle Operationen, eine Elite-Truppe der Bundeswehr, die im hessischen Stadtallendorf stationiert ist. Der Großverband aus Fallschirmjägern und Kommando-Soldaten fusioniert bis 2014 mit den Heeresfliegern und wird zur "Division Schnelle Kräfte". Ihr sind dann auch alle deutschen Kampfhubschrauber unterstellt. Der Großverband ist künftig eine von den drei verbleibenden Heeresdivisionen der Bundeswehr. Er umfasst rund 8600 Soldaten in fünf Bundesländern.

Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 54-Jährige über das Ende der Wehrpflicht, den Abzug aus Afghanistan und den Umbau der Bundeswehr.

Vor einem Jahr endete die allgemeine Wehrpflicht. Hat sich das auf Ihren Bereich negativ ausgewirkt?

Vollmer Die Aussetzung hat uns weniger hart getroffen, als viele es vermutet haben. Die Division bestand bereits vorher bei den Mannschaftsdienstgraden nahezu ausschließlich aus Längerdienenden. Sie haben unseren Auftrag überhaupt erst ermöglicht, schnell Soldaten für Evakuierungsoperationen und parallel dazu Truppen für die laufenden Einsätze stellen zu können. Wir haben grundsätzlich wenig Probleme, leistungsbereite Soldaten für unsere Truppengattung zu gewinnen. Bei uns zu dienen ist eine besondere Herausforderung, ein besonderer Anreiz für junge Männer und Frauen.

Bei den freiwillig Kurzzeitdienenden gibt aber im Bundeswehr-Durchschnitt jeder Vierte, mit dem Truppenalltag konfrontiert, sehr schnell wieder auf. Ist das bei Ihnen ähnlich?

Vollmer Hier liegt für uns in den kommenden Monaten die Herausforderung: Die freiwillig Wehrdienst leistenden Soldaten, aber auch die Soldaten auf Zeit, die zu uns kommen, müssen wir noch besser, noch schneller an uns binden. Die jungen Frauen und Männer bewerben sich heute mehrfach und springen dann ab, wenn sie zum Beispiel doch noch eine Banklehre machen können. Wir müssen es darum in den ersten zwei, drei Wochen schaffen, diese Abbrecherquoten für uns zu reduzieren. Diese 20 bis 25 Prozent sind übrigens in der Wirtschaft und beim Bundesfreiwilligendienst, völlig normal.

Wie wollen Sie das erreichen?

Vollmer Bei unserem Angebot muss alles stimmen: das menschliche Klima, die berufliche Perspektive, die Organisation. Das gilt auch für scheinbare Kleinigkeiten wie das Mobiliar in der Stube.

Wie begründen die Abbrecher ihren Schritt?

Vollmer Das ist schon auffällig: Manchmal, nach einem besonders harten Dienstabschnitt, muss ich die Rücktritterklärungen ganzer Stubenbesatzungen unterschreiben, die sich wohl gegenseitig beeinflusst haben. Während der Allgemeinen Wehrpflicht gab es diese Möglichkeiten nicht. Jetzt konkurrieren wir mit der freien Wirtschaft, und das im Rahmen knapper werdender Haushaltsmittel. Aber wir werden das schaffen. Wir haben was zu bieten.

Die Bundeswehr befindet sich gefühlt seit ihrer Gründung 1955 im "ewigen Umbau". Ist die erneute Neuausrichtung dem Zeitgeist geschuldet?

Vollmer Das ist die sechste Reform, die ich als Soldat mitmache. Doch wenn man die große Linie betrachtet, hat es die Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges geschafft, relativ schnell den ganz neuen Herausforderungen der Auslandseinsätze, beginnend Anfang der 90er Jahre in Kambodscha und Somalia, gerecht zu werden. Auch der Afghanistan-Einsatz hat zu notwendigen Anpassungen geführt.

Wie meinen Sie das?

Vollmer Ich war von Januar bis Oktober 2009 Regionalkommandeur in Nord-Afghanistan. Für ein Gebiet halb so groß wie Deutschland hatten wir neben unseren 5000 Isaf-Soldaten nur 3500 afghanische Soldaten und 10 000 Polizisten zur Verfügung. Das war eindeutig zu wenig. Jetzt sind die afghanischen Streitkräfte etwa verdreifacht worden; auch die Hubschrauber-Kräfte der USA haben geholfen, im Norden für Sicherheit zu sorgen. Ohne das personelle, vor allem aber das materielle Engagement der USA wären wir heute nicht dort, wo wir jetzt sind. Unsere afghanischen Partner wollen und können nun die Verantwortung übernehmen. Es ist ihr Land.

Aus Afghanistan hört man aber meist nur Negatives. Wie beurteilen Sie als jemand, der vor Ort war, die Lage?

Vollmer Zumindest mit Blick auf den Norden sehe ich das sehr optimistisch. Wir müssen aber aufpassen, dass wir unsere Kampftruppen nicht zu schnell reduzieren. 2013 sichern unsere Fallschirmjäger für ein halbes Jahr die Region um Kundus und müssen auch den Materialabfluss der Nato-Rückverlegung bis 2014 über die zwei Nachschubrouten nach Usbekistan und Tadschikistan schützen. Tausende von Containern und Fahrzeugen müssen durch den deutschen Verantwortungsbereich, zu dem außerdem der Flughafen Masar-i-Scharif gehört — ein wichtiges Drehkreuz, weil hier Transportflugzeuge jeder Größe landen können. Hier liegt im ersten Halbjahr 2013 viel Verantwortung auf den Schultern unserer Kameraden.

Gerade in Bezug auf Afghanistan gab es immer wieder Kritik an Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr, wohl auch von Ihnen selbst ...

Vollmer Als Kommandeur im Einsatz ist man manchmal ungeduldig. Aber wir haben es geschafft, das Material in den zehn Jahren Afghanistan-Einsatz maßgeblich zu verbessern, betrachten Sie zum Beispiel die persönliche Schutzausstattung unserer Soldaten. Unsere Feldlager sind besser geschützt und komfortabler als die der Alliierten. Ob bei der Einführung geschützter Fahrzeuge oder Drohnen — wir haben viel gelernt.

Wann kommen denn endlich deutsche Kampfhubschrauber zum Einsatz? Ihre Einführung hat sich durch technische Probleme sehr verzögert.

Vollmer Wir sind entschlossen, den "Tiger" Ende dieses Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres in Afghanistan zum Einsatz zu bringen. Wir brauchen dieses Waffensystem dringend.

Wie sieht der Zeitplan für die Umgliederung in die neue Division Schnelle Kräfte aus?

Vollmer Wir sind ständig im Einsatz. Trotzdem haben wir soeben mit der Ausplanung des künftigen Stabes hier in Stadtallendorf begonnen. Am 1. Januar 2014 erfolgt die Umbenennung. Zu diesem Zeitpunkt werden der Division alle Transport- und Kampfhubschrauberregimenter unterstellt. 2015 werden die Fallschirmjägerkräfte umgegliedert, Ende 2015 steht die Struktur.

Sind Sie stolz, eine derart außergewöhnliche Division führen zu dürfen?

Vollmer Es ist schon spannender, etwas aufzubauen, als etwas zu verwalten oder gar abzurüsten. Die breite Aufbruchstimmung beeindruckt mich. Die Zusammenführung der Luftlandeverbände und der Heeresflieger verläuft erfreulich reibungslos und zielorientiert.

Probleme gibt es keine?

Vollmer Wir sind nun mal einzigartig, und hier müssen hinsichtlich Struktur, Material und insbesondere Personal andere Maßstäbe angelegt werden. Da ist mir wichtig, dass wir, anders als die anderen Heeresverbände, eine 100-prozentige Ausstattung haben. Schließlich müssen wir aus dem Stand heraus in den Einsatz. Die Verantwortung wiegt schwer, wie der plötzliche Abruf der "Operation Pegasus" zur Evakuierung deutscher und europäischer Staatsbürger in Libyen im vergangenen Jahr bewiesen hat. Auch ist es notwendig, auf die Sorgen der Soldaten und ihrer Familien einzugehen. Sie fragen sich, was aus ihnen bei der laufenden Umgliederung wird, die Versetzungen quer durch Deutschland zur Folge hat. Ich bin sicher: Auf dieser langen Zeitachse werden wir jeden einzelnen verwenden können.

Das Interview führte Helmut Michelis

(RP/rm)
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