Deutscher Nato-General warnt "In Afghanistan tickt die Uhr gegen uns"

Linnich (RP). Der deutsche Nato-General Egon Ramms hat die Arbeit der Vereinten Nationen in Afghanistan scharf kritisiert: Der Ausbau eines funktionierenden Staates komme nicht schnell genug voran. Die Entscheidung, nach dem Anschlag auf ein Gästehaus der UN in Kabul mehr als die Hälfte der ausländischen Uno-Mitarbeiter aus den Gefahrenzonen abzuziehen, sei falsch.

 "Die Uhr tickt gegen uns", sagt Egon Ramms.

"Die Uhr tickt gegen uns", sagt Egon Ramms.

Foto: NATO

"Mit einem Abzug von Personal wird man keine Erfolge erzielen können", sagte der Viersterne-General, dessen "Joint Force Command" (JFC) vom niederländischen Brunssum aus die internationale Isaf-Schutztruppe am Hindukusch mit insgesamt 71.000 Soldaten führt.

Dabei sei der zivile Wiederaufbau der Schlüssel zum Erfolg, betonte Ramms im JFC-Führungsbunker in Linnich (Kreis Düren) und warnte: "Die Uhr tickt gegen uns." Politisch werde viel Zeit verloren. Korruption, Missmanagement und Terrorismus würden nicht energisch genug eingedämmt. Das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die westlichen Staaten schwinde zunehmend.

"Die Taliban werden uns zwar nicht aus dem Land werfen können. Aber bloßes Abwarten hilft nicht." Das Militär könne das "nicht ausreichende Handeln" beim Aufbau von Verwaltung, Justiz und Polizei und der Entwicklung der Landwirtschaft nicht ausgleichen. Ramms: "Ich werde nicht ungeduldig. Ich fürchte aber, dass die Bürger unserer westlichen Staaten ungeduldig werden. Und langfristig handeln Politiker nicht gegen die Meinung der eigenen Wähler."

Die Fortschritte — erstmals habe zum Beispiel 2009 die Ernte die Versorgung der Bevölkerung abgedeckt — würden allerdings zu wenig wahrgenommen. Ramms lobte den US-General Stanley McChrystal, der als Isaf-Kommandeur die Vorgaben aus Brunssum vor Ort umsetzen muss. "Wir sind sehr froh über den amerikanischen Strategiewechsel, dem Schutz der Bevölkerung höchste Priorität einzuräumen." McChrystal mache hier erfreulich Druck auf seine Offiziere, um bei Kampfhandlungen künftig zivile Opfer zu vermeiden. Ramms hatte die Alliierten jahrelang auf ein behutsameres Vorgehen gedrängt.

Dass nun ausgerechnet ein deutscher Oberst in Kundus einen Luftangriff auf entführte Tankwagen befahl und damit auch Zivilisten töten ließ, wollte der General nicht kommentieren. Dies sei Sache der Bundesregierung. Indirekt nahm er aber darauf Bezug: Es seien in kritischen Situationen immer wieder Luftangriffe befohlen worden, weil die Isaf nicht genug Soldaten habe. "Ein militärischer Führer ohne Reserven ist nicht handlungsfähig." Wenn nun die Niederländer und die Kanadier Truppen abzögen, erhöhe das den Druck auf die anderen Bündnispartner. Ramms: "Dann dauert es eben noch länger."

Die Nato setzt darauf, die afghanische Armee zum Schutz des eigenen Landes so zu stärken, dass sie ihre Truppen abziehen kann. 93.980 Mann sind es zurzeit, 142.000 sollen bis 2013 unter Waffen stehen, vorrangig Infanteristen. Monatlich werden 3000 neue Rekruten ausgebildet, um die Verluste von rund 1000 Soldaten (Gefallene und Desertierte) im selben Zeitraum auszugleichen. Die Probleme seien groß, meinte der General. So sind 15 Prozent aller afghanischen Soldaten drogensüchtig. Um die Zuverlässigkeit dieser Armee zu erhöhen, würden jetzt Nato-Soldaten "bis hinunter auf Kompanieebene" als Berater eingesetzt. "Sie trainieren, leben und kämpfen zusammen."

Weitaus kritischer sei die Lage bei der afghanischen Polizei, die jährlich 1500 Tote zu beklagen hat. Die Taliban hätten bei ihren Überfällen nicht nur Uniformen, sondern auch Polizeiwagen gestohlen. "Das erhöht das Risiko von Selbstmordanschlägen enorm." Ein neues Problem seien die örtlichen Stammes-Milizen, die neuerdings auf eigene Faust gegen die Taliban kämpften. McChrystal habe ihm sein Leid geklagt, wie die Soldaten denn diese schwer bewaffneten Kämpfer von den gleich aussehenden Terroristen unterscheiden sollten. Ramms befürchtet darüber hinaus, dass diese "Bürgerwehren" leicht außer Kontrolle geraten könnten.

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