Schwere Kritik an türkischem Ministerpräsidenten "Erdogans Auftritt war unangemessen"

Berlin (RPO). Nach der umstrittenen Rede des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Düsseldorf reißt die Kritik nicht ab. Quer durch die politische Landschaft mehren sich kritische Stimmen. Mit dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, kritisierte erstmals auch ein ranghoher SPD-Politiker den türkischen Regierungschef für dessen Äußerungen zur Integration.

Erdogan im ISS-Dome in Düsseldorf
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"Was Erdogan macht, hat wenig mit Integration in Deutschland zu tun, aber viel mit Propaganda in der innertürkischen Debatte", sagte Schulz dem "Hamburger Abendblatt". Erdogans Auftritt in Düsseldorf sei "unangemessen" gewesen. Es könne nicht sein, dass Erdogan Wahlkampf in Deutschland betreibe, betonte SPD-Vorstandsmitglied Schulz.

"Für einen EU-Beitritt der Türkei ist Erdogans Politik sicherlich kontraproduktiv", sagte der Europa-Politiker. Auch Schulz stellte sich gegen die Forderung des türkischen Ministerpräsidenten, dass die Kinder türkischer Migranten in Deutschland zuerst die türkische und dann erst die deutsche Sprache lernen sollten. "Wer türkischen Kindern nicht empfiehlt, in dem Land heimisch zu werden, in dem sie leben, schadet ihnen", sagte Schulz.

Kritik von Lindner

Weitere Kritik kam von FDP-Generalsekretär Christian Lindner. "Die deutsche Sprache ist die Geschäftsgrundlage für unser gemeinsames Miteinander in Deutschland", sagte Lindner der "Bild"-Zeitung. "Es ist empörend und inakzeptabel, dass Herr Erdogan die Souveränität unseres Landes und der Menschen, die hier leben, infrage stellt."

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, distanzierte sich ebenfalls von Erdogan. "Ich finde es nicht glücklich und nicht richtig, dass Erdogan auf diese Weise Wahlkampf macht", sagte Kolat der "Bild"-Zeitung. Integrationsfragen würden in Deutschland mit den hier lebenden Türken entschieden und nicht in der Türkei.

Böhmer: Niemand will Türken Wurzeln nehmen

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, stört sich daran, dass Erdogan in seiner Rede das Thema Assimilation wieder in die Debatte geworfen hat. "Die Forderung nach Assimilation war nie deutsche Politik", sagte die CDU-Politikerin der "Passauer Neuen Presse". "Niemand will Türken in Deutschland ihre kulturellen Wurzeln nehmen. Allen, die Ja zu unserem Land sagen, bieten wir gleichberechtigte Teilhabe an."

Obwohl es zahlreiche Erfolgsbeispiele für gelungene Eingliederung gebe, "haben viele türkischstämmige Migranten noch immer einen großen Nachholbedarf bei Bildung und Ausbildung", sagte Böhmer. Nach der Rede Erdogans vor mehreren tausend Landsleuten stellt sich für die CDU-Politikerin die Frage, wie lange man eigentlich Zuwanderer bleibe? Migranten aus der Türkei lebten inzwischen in der dritten Generation in Deutschland, viele von ihnen gut integriert, führte Böhmer aus: "Für sie wäre die Einbürgerung eine Chance."

Polenz pflichtet Erdogan bei

Aber Erdogan trifft mit seinen jüngsten Äußerungen zum Thema Integration und Sprachkenntnisse in der Union nicht nur auf Ablehnung. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sagte der "Frankfurter Rundschau": "Viele Sprachexperten betonen, man müsse zunächst seine Muttersprache beherrschen, bevor man sich die des Landes aneignet, in dem man lebt." Er könne an den Äußerungen "nichts Kritikwürdiges erkennen", zumal Erdogan ja auch an seine in Deutschland lebenden Landsleute appelliert habe, auf Bildung und Karriere zu setzen.

Polenz ging auch auf Distanz zu Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), der sich wegen der harten Haltung Ankaras gegenüber Christen für einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen ausgesprochen hatte. "Die Christen in der Türkei selber verbinden mit dem EU-Prozess doch die größten Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer Lage. Die Beitrittsverhandlungen sind der beste Weg, den Christen in der Türkei zu helfen", sagte Polenz.

Erdogan hatte sich am Sonntagabend vor rund 10.000 Landsleuten in Düsseldorf gegen Assimilation gewandt und betont, das Recht der Minderheiten dürfe nicht ignoriert werden. Niemand werde in der Lage sein, die Türken von ihrer Kultur loszureißen. "Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen." Zugleich rief Erdogan seine Landsleute zur Integration auf.

(RTR/felt)
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