Zwei Jahre Große Koalition Das Gerangel um Kompromisse geht weiter

(RPO). Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Lage der Staatsfinanzen bessert sich: Die Große Koalition hat der Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahren zweifellos zu Aufwind verholfen. Aber was haben Merkel und Steinmeier genau erreicht?

Die Streitpunkte der Koalitionskrise
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Auf den ersten Blick wollen Superlative so gar nicht zu Angela Merkel passen. Pragmatisch und abwägend, so hatten die Deutschen ihre Kanzlerin in den vergangenen zwei Jahren erlebt. Eine Politikerin, die stetig, aber in kleinen Schritten nach vorne geht. Vorsichtig und berechnend. Doch ein Blick in die Bilanzen der Großen Koalition zeigt vor allem eins: Spitzenwerte. Auf das Konto der Regierung geht die größte Steuererhöhung und die umfangreichste Gesetzesänderung seit Bestehen der Bundesrepublik. Ebenso ein Rekordtief an Arbeitslosen von weniger als vier Millionen Menschen und ein Überschuss im Staatshaushalt. Grund zu einem ausgelassenen Bergfest hätten die Koalitionspartner jedoch nicht, unken Kritiker - dazu sei die Zukunft der Regierung viel zu ungewiss.

Den Deutschen ans Portemonnaie

Reformpakete gab es in den vergangenen Jahren reichlich: Zum Thema Föderalismus und in der Gesundheitspolitik, in Fragen der Familienförderung und zum Subventionsabbau. Einige Beschlüsse gingen den Deutschen direkt ans Portemonnaie: Zum 1. Januar 2007 ließ das Regierungsbündnis die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent anheben. Nach langer Debatte folgte dann vor einem Jahr der nächste Einschnitt: Die Deutschen arbeiten künftig länger. Ab 2012 steigt das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre. Zugleich sollten Steuervorteile und Sparerfreibeträge abgeschafft werden. Hier gab es jedoch immer wieder Krach zwischen SPD und CDU. Erst schien die Abschaffung der Pendlerpauschale beschlossene Sache, dann ruderten plötzlich die Koalitionspartner zurück - symptomatisch für die Interessenkonflikte zwischen Sozial- und Christdemokraten.

Unterstützung für Familien

Dafür sorgte auch die Initiative der SPD für Korrekturen im Arbeitslosengeld II: Im Februar 2006 beschloss der Bundestag, Hartz IV in Ostdeutschland auf Westniveau anzuheben. Dafür bekommen Erwerbslose ohne Ausbildung künftig weniger Geld, wenn sie bei den Eltern leben. Nicht zuletzt die Diskussionen um verlängerte Zahlungen von älteren Hartz-IV-Empfängern spaltete die Bündnispartner: Die SPD - allen voran Parteivorsitzender Kurt Beck - plädierte auf soziale Gerechtigkeit, die CDU mit Angela Merkel an der Spitze stellte die Finanzierbarkeit der Maßnahme in Frage - und gab am Ende dem Koalitionspartner nach.

Aufwind gab es vor allem für Familien: Für sie beschloss die Koalition gleich zu Anfang ihrer Regierungszeit ein neues Konzept für die steuerliche Förderung der Kinderbetreuung. Im Mai diesen Jahres legte sie dann nach: Dreimal so viele Krippenplätze wie bisher sollen zukünftig Familien zur Verfügung stehen - ab 2013 sogar mit Rechtsanspruch. Themen der Gesundheitsreform werden immer wieder vertagt. Einzige Ausnahme: Im Juli 2006 beschließt die Koalition, die Kassenbeiträge um 0,5 Prozentpunkte anzuheben. Die Einführung eines Gesundheitsfonds wird im Koalitionsausschuss auf 2009 verschoben.

Wirtschaft im Aufwind

Im Vergleich zu den Vorjahren verschuldete sich Deutschland im vergangenen Jahr dafür enorm weiter: 38 Milliarden Euro kalkulierte die Regierung an Neuverschuldung ein - noch 2005 war man mit knapp sieben Milliarden Euro weniger ausgekommen. Dafür ging es in Sachen Wirtschaft stetig aufwärts: Erstmals seit fünf Jahren wuchs die Wirtschaft im zweiten Quartal 2006 um 0,9 Prozent, im Frühjahr 2007 prognostizierten Wirtschaftsforschungsinstitute für dieses und nächstes Jahr ein Wachstum von 2,4 Prozent. Grund genug für Peer Steinbrück, in Sachen Staatsausgaben die Daumenschrauben anzulegen: Der Bund wolle schon im Jahr 2010 keine neuen Kredite mehr aufnehmen, kündigte der Finanzminister an. Zugleich schwappen unerwartet hohe Summen an Steuergeldern in die Regierungskasse: In diesem und vergangenen Jahr werden fast 40 Milliarden Euro mehr eingenommen, so Steinbrück im November 2006. Ein halbes Jahr später verkündet er ein Plus von 200 Milliarden Euro bis 2011 - der guten Konjunkturlage sei Dank.

Genau dieser Aufschwung könnte der Koalition das Rückrat brechen, sagen Kritiker. In 2008 sei eine ähnliche Wachstumsrate nicht zu erwarten. Und schließlich habe sich die Regierung in erster Linie nicht etwa durch Einsparungen hervorgetan, sondern durch die Zusatzeinnahmen der guten Konjunkturlage, die nicht unbedingt auf ihr Konto gingen.

Ihr Fazit: Über das Schicksal der Regierenden wird in erster Linie die weitere Wirtschaftsentwicklung entscheiden. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier werden kraxeln müssen. In kleinen Schritten nach vorn. Es wird ein Gerangel um Kompromisse bleiben - und um die Gunst der Wähler.

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