Analyse Der Drache greift an

Peking · China will mit westlicher Technologie zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen. Dazu kauft es aggressiv europäische und amerikanische Hightech-Unternehmen. Der Westen droht zurückzufallen.

Die chinesische Führung hat ein großes Ziel. In den kommenden Jahrzehnten will das Reich der Mitte das technologisch führende Land der Welt werden. "Made in China 2025" heißt der Plan, mit dem der ehrgeizige Ministerpräsident Li Keqiang die globalisierte Welt vom bevölkerungsreichsten Land der Erde wirtschaftlich abhängig machen will. China soll die ökonomische Supermacht werden, soll Zukunftstechnologien wie Roboter, Sensorik, drahtlose Telekommunikation und intelligente Chips, aber auch den Fahrzeug-, Schiff- und Flugzeugbau sowie die Pharma- und Informationsindustrie beherrschen.

China will an den Platz zurückkehren, den das Riesenreich als modernste Nation der Welt schon vor 800 Jahren eingenommen hatte. Damals, vor dem Mongolensturm, hatten die Song-Kaiser bereits eine Eisen- und Stahlindustrie und mehrere Tausend Kilometer an Kanälen. Die Hektarerträge lagen weit über denen Europas. Die einzigen Millionenstädte neben Bagdad, Fes oder Konstantinopel lagen im Reich der Mitte.

Der Angriff auf die Spitze ist gut vorbereitet. Nach jahrzehntelangem Wachstum mit Raten von zehn Prozent ist China nach den USA auf Platz zwei der größten Volkswirtschaften der Welt vorgerückt. Jetzt will die Führung um Präsident Xi Jinping auch beim Pro-Kopf-Einkommen die führenden Nationen der Welt einholen. Das Mittel dazu ist der Technologietransfer.

Die Chinesen wissen, dass sie nur mit westlichem Know-how die Weltwirtschaft nach ihren Vorstellungen gestalten können. Dazu dient der Masterplan. Wenn der erfolgreich sei, so der Politikwissenschaftler und Ostasien-Experte Jost Wübbeke, der für das Mercator-Institut den Masterplan begutachtet hat, werde Chinas Wirtschaft "die dominante Rolle in der Welt spielen". Die westliche Welt würde das spüren.

Denn der chinesische Staat, so die Studie Wübbekes, würde sich massiv in die Aufholjagd einmischen und systematisch westliche Technologie nach China transferieren. So planen die Strategen des Masterplans, den Marktanteil im eigenen Land für Hightech-Komponenten und -Basismaterial auf 70 Prozent anzuheben. 40 Prozent der Mobilfunk-Chips sollen aus chinesischer Produktion kommen sowie 70 Prozent der Robotertechnik und sogar 80 Prozent der erneuerbaren Energien. Mit zwei milliardenschweren Fonds unterstützt der Staat den Aufkauf von Technologieunternehmen und den Transfer von Schlüsseltechniken.

Vorbild für die Zukunftsingenieure ist ausgerechnet die deutsche Plattform "Industrie 4.0". Die will China schlicht kopieren, besser machen und daraus eine Führungsposition ableiten. Ein dreistufiges Vorgehen soll den Weg ebnen. Im ersten Schritt lässt China die Investitionen im eigenen Land zu, hält aber mit Gemeinschaftsunternehmen und Zwangslizenzen die Hand auf die Technologie. Dann werden in einem zweiten Schritt die Technologien auf andere Unternehmen übertragen und weiterentwickelt. In der dritten Stufe übernehmen die chinesischen Unternehmen die technologische Führung.

Die neue Weltwirtschaftsordnung dürfte nach der Mercator-Studie schwerwiegende Folgen für westliche Ökonomien haben. China-Forscher Wübbeke: "Der ausufernde Technologietransfer kann negative Auswirkungen auf den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft haben. Denn in Zukunft ist es entscheidend, wo das Wissen sitzt. Deutschland könnte also zurückfallen."

Die Chinesen gehen äußerst planvoll vor. So sind die meisten Direktinvestitionen in Europa und den USA rein kommerziell und damit, so Wübbeke, "grundsätzlich zu begrüßen". Aber es gibt offenbar die kleine Zahl an strategischen Investitionen, bei denen der Staat entscheidend mitmischt. Der Roboterhersteller Kuka aus Augsburg war so ein Fall, ebenso der Chip-Maschinenhersteller Aixtron aus Herzogenrath. Beide Unternehmen haben wirtschaftliche Schwierigkeiten, stellen aber Schlüsseltechnologien her, die weit über die Bedeutung der Firmen hinausgeht. Bei Kuka war Midea, ein privates Unternehmen aus China, erfolgreich, bei Aixtron untersagten die Amerikaner den Verkauf, weil die Firma angeblich rüstungsrelevant ist.

Auch andere Unternehmen würden danach ausgesucht, ob sie jenseits ihrer Geschäftszahlen einen großen Beitrag zur Wertschöpfung des Landes leisten könnten. So wollen sich die Chinesen an allen Chipherstellern in den USA und Europa beteiligen, gehen gezielt auf Suche nach Firmen, die in der vollautomatisierten Fertigung, der Industrie-Software oder bei 3D-Druckern führend sind. Viele Angebote werden zurückgewiesen, aber bei immer mehr Unternehmen kommen die Chinesen zum Zuge. Die Summe der drei größten Übernahmen im Jahr 2016 (Kuka, das Ökoenergie-Unternehmen EEW Energy und Krauss-Maffei Werkzeugmaschinen) ist bereits höher als alle Firmenkäufe der vergangenen fünf Jahre.

Trotzdem warnen etwa die fünf Wirtschaftsweisen vor übereilten Schlüssen. Der Kauf deutscher Unternehmen durch die Chinesen, so heißt es im jüngsten Gutachten, "ermöglicht eine effiziente Nutzung von Kapital und fördert die internationale Arbeitsteilung". Selbst staatliche Investoren und Hemmnisse für westliche Unternehmen in China seien kein Grund, die Firmen aus Fernost vom deutschen Übernahme-Markt auszuschließen. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Düsseldorfer Hüttenwerk-Herstellers SMS, Heinrich Weiss, meint nüchtern: "Man kann vor den Chinesen nichts auf Dauer geheim halten." Deshalb wäre ein Verbot von Unternehmenskäufen kaum wirksam. Weiss: "Wenn wir unsere technologische Führung behalten wollen, müssen wir den Chinesen immer einen Schritt voraus sein. Darum bemühen sich viele deutsche Firmen erfolgreich."

(kes)
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