Interview mit Isaf-Kommandeur Petraeus "Der Druck auf die Taliban wirkt"

Düsseldorf (RP). David Petraeus, US-General und Kommandeur der Schutztruppe Isaf, sprach mit unserer Redaktion über Fortschritte und Risiken des internationalen Engagements am Hindukusch und mögliche Abzugstermine. Beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte sieht er die Nato dem Zeitplan voraus. Doch weitere Kämpfe hält er für unvermeidlich. Das Interview im Wortlaut.

 US-General David Petraeus, hinter ihm sein Sprecher, der deutsche General Josef Blotz.

US-General David Petraeus, hinter ihm sein Sprecher, der deutsche General Josef Blotz.

Foto: Isaf

Herr General, immer wieder ist seit 2002 bei Jahreswechseln vom bevorstehenden "Schicksalsjahr für Afghanistan" die Rede. Trifft das für 2011 in besonderem Maße zu?

Petraeus Der bisherige Konfliktverlauf war durch ganz unterschiedliche Phasen gekennzeichnet in denen nicht immer und überall die notwendigen Voraussetzungen, Ressourcen und Konzepte für eine erfolgreiche Aufstandbekämpfung verfügbar waren. Ich erinnere daran, dass Isaf überhaupt erst seit Ende 2006 die Sicherheitsverantwortung in ganz Afghanistan wahrnimmt, und davor praktisch nur in Kabul beziehungsweise dann etappenweise in den anderen Regionen. Insofern hat es immer wieder wichtige Abschnitte und damit notwendige Neuansätze geben müssen.

Eine solche Etappe liegt wieder vor uns. Im Jahre 2011 wird die Transition beginnen, jene Phase der abschnittsweisen und behutsam auf Bedingungen vor Ort achtenden Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte. Das hat es mit der Ausnahme der allerdings sehr bedeutenden Transition von Kabul ab August 2008, bisher nicht gegeben. Weil wir dann bis Ende 2014 diese Übergabe weitest möglich vollzogen haben wollen, kann man in der Tat davon sprechen, dass 2011 den Beginn eines ganz besonders wichtigen Abschnitts markiert mit bedeutenden Folgen für Isaf, für Afghanistan und für die ganze Region.

Im Raum Kandahar/Helmand haben Sie den Druck auf die Taliban massiv erhöht und deren Kämpfer erfolgreich vertrieben bzw. in den Untergrund gedrängt. Gibt es weitere Fortschritte?

Petraeus In mehreren besonders wichtigen Landesteilen, zu denen Kandahar und Helmand, aber auch die Provinz Uruzgan und besonders die Region Kabul gehören, ist es uns nachweislich gelungen, die Initiative der Aufständischen nicht nur zu stoppen, sondern auch umzukehren. Nehmen Sie den Distrikt Marjah in Helmand als Beispiel. Marjah war ein einziges Taliban-Hauptquartier, eine Fabrik für Sprengfallen neben der anderen, eine florierende Drogenwirtschaft. Da musste zwingend etwas unternommen werden. Heute ist die Lage dort ganz anders. Kinder gehen wieder zur Schule, 40 Prozent davon Mädchen, Menschen genießen ihre neue Bewegungsfreiheit, eine Distriktverwaltung entsteht neu, und vieles andere mehr.

Ist das allein der Verdienst der Nato-Schutztruppe Isaf?

Petraeus Das ist mit dem verstärkten Einsatz militärischer Kräfte von Isaf und der aufwachsenden afghanischen Armee gelungen, aber auch, und das ist mir ganz wichtig, durch die effizienter werdende Koordination aller militärischen und zivilen Anstrengungen. Zu letzteren gehören ganz erhebliche Anstrengungen im Bereich des Wiederaufbaus und der verbesserten Regierungsfähigkeit. Und das zählt eindeutig zu den Fortschritten, die über das rein Militärische hinaus ebenfalls erzielt werden konnten.

Dieser Fortschritt, so zerbrechlich er hier und da auch noch ist, muss gefestigt werden durch eine fortgesetzte Präsenz in der Fläche, durch die Reintegration ehemaliger Taliban-Kämpfer, die gegen Ende 2010 einen bereits ermutigenden Verlauf genommen hat, und durch politische Anstrengungen in der Region.

Deutsche Politiker diskutieren zurzeit alle möglichen Abzugsmodelle beginnend ab 2011. Unter anderem wollen die Grünen wissen, wie die konkreten Zeitschritte aussehen. Torpediert das nicht Ihre Arbeit? Schließlich ist es kein gutes Signal in Richtung Insurgenten, wenn der Westen und hier speziell Deutschland klar macht, dass man das Afghanistan-Engagement "möglichst gestern" beenden würde.

Petraeus Die wichtigste Voraussetzung für einen behutsam beginnenden Prozess der Ausdünnung von Truppen ist zweifelsohne der erfolgreiche Verlauf der Übergabe an die Afghanen und ihre Sicherheitskräfte. Lassen Sie mich klar sagen: Transition wird kommen. Ihre Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit aber und sodann eine verantwortliche Reduzierung von Truppen hängen nicht von einmal gesetzten Zeitplänen ab, sondern von den erreichten Bedingungen hier vor Ort.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Gedankengang nachvollzogen wird, wenn wir uns daran erinnern was beim Nato—Gipfel Ende November in Lissabon zwischen allen 48 ISAF-Nationen verbindlich vereinbart worden ist um das bisher Erreichte nicht zu gefährden: Übergabe in Verantwortung, Irreversibilität der Übergabe in Provinzen und Distrikten, keine Überforderung unserer afghanischen Partner und selbst über 2014 hinaus eine dauerhafte Partnerschaft. Zu Letzterer wird auch eine militärische Ausbildungs- und Beratungskomponente gehören.

Was sagen Sie der deutschen Bevölkerung, warum ein Einsatz deutscher Soldaten vorläufig weiter notwendig ist?

Petraeus Die Begründung für den Beginn des Einsatzes von heute mehr als 140.000 Soldaten aus 48 Ländern wie für seine Fortsetzung über noch weitere Jahre geht direkt auf den 11. September 2001 und weitere Anschläge in London, Madrid und so weiter zurück: Es gilt zu verhindern, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsraum und Ausgangspunkt des internationalen Terrorismus wird.

Unser aller nachhaltiges Engagement in diesem Land steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit unseren Sicherheitsinteressen. Dieses Engagement muss einem gut koordinierten zivil-militärischen Ansatz folgen und letztlich auf die Befähigung der Afghanen abzielen, ihre Sicherheit und ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.

Es ist wichtig, diesen Zusammenhang nicht zu vergessen, ihn immer wieder in Europa, Nordamerika und hier in Afghanistan wach zu halten und zu erläutern. Menschen müssen überzeugt sein, wenn Opfer gefordert werden.

Sind vielleicht schon die Provinzen zu benennen, die als erste in afghanische Verantwortung übergeben werden können? Guido Westerwelle sprach davon, eine werde im Norden liegen. Über Herat und Pandschir wird darüber hinaus spekuliert.

Petraeus ISAF arbeitet zur Zeit gemeinsam mit der afghanischen Regierung ganz intensiv an einer Analyse der Lage auf den Feldern Sicherheit, Entwicklung und Regierungsfähigkeit. Auf deren Grundlage werden dann von NATO-Gremien und afghanischer Regierung im Frühjahr 2011 die ersten Provinzen benannt werden können, die an die Startlinie gehen. Es gibt sicherlich eine Reihe von Optionen, aber ich kann heute noch keine Namen nennen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass wir ab 2011 neben geographischen Räumen auch die Übergabe von Einrichtungen und Funktionen planen, die von ISAF in den letzten Jahren zum Beispiel für die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte aufgebaut wurden.

Aus dem deutschen Verantwortungsbereich im Norden erreichen uns in den letzten Wochen deutlich weniger Meldungen über Kämpfe und Anschläge. Ist das dem Wetter geschuldet, oder trägt die erhebliche Verstärkung durch US-Truppen dazu bei, auch hier mehr Sicherheit zu erreichen?

Petraeus Für eine leichte Verbesserung der Lage in Nordafghanistan gegen Ende dieses Jahres sind mehrere Ursachen ausschlaggebend.

Erstens der quantitative und qualitative Aufwuchs deutscher, amerikanischer und afghanischer Truppen sowie deren deutlich verbesserte Fähigkeit zur Zusammenarbeit in allen Aspekten der Sicherheit und Entwicklung.

Zweitens die Befähigung zur koordinierten, nachhaltigen Anwendung der Prinzipien von Isaf's "Counter Insurgency Strategy", also des umfassenden Konzepts zur Aufstandsbekämpfung, das mitnichten nur militärische Instrumente zur Anwendung bringt. Gerade hierin haben die deutschen Truppen seit einigen Monaten ihre hervorragende Befähigung bei Operationen in den Provinzen Kundus und Baghlan unter Beweis gestellt. Hiervon konnte ich mich bei mehreren Truppenbesuchen im Norden persönlich überzeugen.

Läuft der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin planmäßig?

Petraeus Die Antwort ist ein klares "Ja". Zahlenmäßig verlaufen Aufbau und Ausrüstung von Armee und Polizei seit diesem Jahr besser als erwartet. Wir sind dem Plan deutlich voraus. Der noch wichtigeren qualitativen Komponente gilt meine besondere Aufmerksamkeit: Wir investieren besonders viel Mühe in die Ausbildung der künftigen Führer auf allen Ebenen — was naturgemäß nicht über's Knie gebrochen werden darf. Und zweitens haben wir seit 2009 mit dem Partnering Konzept ein Verfahren des gemeinsamen Planens, Kämpfens und Lernens eingeführt, dass seine Früchte auch im deutsch geführten Regionalkommando Nord unübersehbar zu zeigen beginnt.

Bei den Operationen in Kandahar sehen wir übrigens gerade, dass die Zahl der eingesetzten afghanischen Truppen die von ISAF stellenweise schon übertrifft. Das geht genau in die richtige Richtung.

Und Armee und Polizei der Afghanen tragen bereits seit über 2 Jahren die Sicherheitsverantwortung für den Großram Kabul mit 5 Millionen Einwohnern. Das ist ein Sechstel der gesamten Bevölkerung. Seither hat sich die Lage in der Hauptstadt eindeutig positiv entwickelt, besonders deutlich im Jahre 2010.

Vor wenigen Tagen hat der Iran die Grenze geschlossen, so dass Benzinlaster nicht mehr durchkommen. Von einem neuen Versorgungsengpass war die Rede. Betrifft das auch Isaf?

Petraeus Versorgungsengpässe bei Kraftstoffen, die sich für die afghanische Wirtschaft als schwierig erwiesen haben, konnten ISAF zu keiner Zeit betreffen, weil wir unsere Versorgungsgüter weder aus dem Iran noch über den Iran beziehen. Das gilt auch für alle einzelnen ISAF Nationen.
Im Übrigen hat ISAF bereits seit einigen Jahren Strategien entwickelt, die zu mehr Diversivität und damit zu weniger Abhängigkeit von bestimmten Versorgungswegen, z.B. durch Pakistan, geführt hat.

Im Kampf gegen den Drogenanbau hilft Ihnen auch eine Pflanzenkrankheit. Wie ist der aktuelle Stand? Machen alternative Anbauprojekte Fortschritte, oder muss weiter mit Gewalt gegen die Mohnproduktion vorgegangen werden? Versuchen Sie auch die Vertriebswege zu unterbrechen?

Petraeus Zunächst eine wichtige Klarstellung: Isaf hat kein Mandat zum unmittelbaren, gegebenenfalls gewaltsamen Kampf gegen den Drogenanbau. Hier liegen die Verantwortlichkeiten vor allem bei der afghanischen Regierung selbst, die mehrfach wichtige Verpflichtungen übernommen hat. Sie wird von Isaf und einzelnen IsafF-Staaten auf bilateraler Basis, zum Beispiel durch den Austausch von Informationen, unterstützt. Und da sehen wir auch ganz konkrete Ergebnisse wie gerade umfangreiche Beschlagnahmeaktionen in der letzten Zeit belegen.

Natürlich muss Isaf dem Kampf gegen Drogenanbau und —handel ganz großes Gewicht beimessen. Denken Sie nur an die unheilvolle Verflechtung von Drogenwirtschaft, Finanzierung des Aufstands aus den Erlösen, Korruption und so fort. Deswegen fördern wir gemeinsam mit staatlichen und nicht-staatlichen Hilfsorganisationen Alternativen wie zum Beispiel den durchaus lukrativen und erfolgversprechenden Anbau von Safran, Gemüse, Tierfutter und den intensivierten Abbau von Bodenschätzen wie Öl, Erdgas, Blei, Kupfer, Zink, und so weiter.

Das sogenannte Entwicklungsprogramm für Alternativen zielt auf die wichtigsten Opium produzierenden Provinzen, um realistische wirtschaftliche Alternativen zu entwickeln. Dabei geht es um kurz- und langfristig wirkende Anreize für Haushalte in den landwirtschaftlich geprägten Regionen wie um die politische Unterstützung etwa von Provinz-Gouverneuren.

Die Schaffung eines sicheren Umfeldes als Voraussetzung hierfür steht ganz oben auf der ISAF Prioritätenliste. Wir haben es hier aber insgesamt mit einer sehr komplexen Herausforderung zu tun, deren Lösung Zeit und Geduld erfordert.

Welche großen Herausforderungen muss Isaf in den kommenden Monaten bewältigen?

Petraeus In den kommenden Monaten geht es vor allem um dreierlei:
Erstens das Aufrechterhalten des Drucks auf die Aufständischen mit allen militärischen und nicht-militärischen Mitteln, auch während der kommenden Winterperiode und ohne die geringste Pause. Wir werden das bisher Erreichte stabilisieren und sichern und darauf in 2011 weiter aufbauen. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass weitere Kämpfe unvermeidlich sind.

Zweitens die Förderung der Reintegration von Aufständischen, die sich als ein wesentlicher Aktivposten zu entwickeln begonnen hat. Drittens der Beginn der verantwortungsvollen und mit den Afghanen gut koordinierten Transition. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist wiederum der energische weitere Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte.

Lassen Sie mich feststellen: Nunmehr mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet, haben wir, ISAF in Partnerschaft mit den Afghanen, im Jahre 2010 beginnend zeigen können, dass Fortschritt auf den Feldern Sicherheit, Entwicklung und guter Regierungsfähigkeit möglich sind. In diesem Sinne habe ich vor einigen Wochen den Staats- und Regierungschefs in Lissabon berichtet.

Dieser Sachstand ist jedoch noch nicht irreversibel und bedarf daher noch der Verfestigung - militärisch, politisch und auf allen Feldern der Entwicklung und des Wiederaufbaus.

Helmut Michelis stellte die Fragen an den General in Kabul

(RP)
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