Parlament muss aufgelöst werden Ägypten — alles zurück auf Anfang?

Kairo · Seit über einem Jahr ist die politische Situation in Ägypten alles andere als stabil. Würden die Militärs den Durchmarsch der Muslimbrüder zur Macht tatenlos akzeptieren? Diese Frage beschäftigt die Ägypter schon seit Wochen. Jetzt haben sie die Antwort erhalten. Sie lautet: Nein.

 Ein Demonstrant hat sich aus Protest gegen die Urteile selbst gefesselt.

Ein Demonstrant hat sich aus Protest gegen die Urteile selbst gefesselt.

Foto: afp, MARWAN NAAMANI

War die "Revolution des 25. Januar" nicht vielleicht doch eher ein Militärputsch? Diese Frage diskutieren die Ägypter, seit der hartleibige Dauermachthaber Husni Mubarak von den Generälen in die Wüste geschickt wurde. Die Ereignisse an diesem Donnerstag sprechen dafür, dass die Militärs nicht bereit sind, eine echte Revolution zuzulassen, sondern weiter die Zügel in der Hand halten wollen. So lange jedenfalls, bis sich die politische Landschaft so entwickelt hat, dass sie damit leben können.

Was ist geschehen? Mit zwei explosiven Urteilen hat das Verfassungsgericht dafür gesorgt, dass der gesamte Zeitplan für die Übergangszeit in Ägypten auf den Kopf gestellt wird. Erst wird der Präsident gewählt werden, dann bildet das Militär einen Rat, der eine neue Verfassung schreibt und zuletzt werden die Parlamentswahlen wiederholt. Dabei hatten die Militärs Stein und Bein geschworen, dass sie am 30. Juni die Macht an einen gewählten Präsidenten übergeben würden. Daraus wird nun wohl nichts. Denn mit der Auflösung des Parlaments fehlt die gesetzgebende Gewalt. Also: Alles zurück auf Anfang.

Heimliche Freude?

Die Reaktion der einzelnen Gruppierungen auf die beiden Schock-Urteile ist unterschiedlich. Zwar wittern die meisten von ihnen Betrug. Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz sind angebracht. Doch einigen von ihnen ist es ganz recht, dass die Richter jetzt im Interesse des Militärs entschieden und den Marsch der Islamisten durch die Institutionen gestoppt haben. Sogar viele Ägypter, die bei der Parlamentswahl um die Jahreswende noch selbst für die Muslimbrüder gestimmt hatten, sind heimlich froh. Ihnen gefällt der Machthunger der Bruderschaft nicht, die anfangs behauptet hatte, sie wolle sich nur um wenige Abgeordnetenmandate bewerben und keinen eigenen Kandidaten für die Präsidentenwahl aufstellen. Später hieß es dann: Was interessiert uns unser Geschwätz von gestern.

Die Tragweite der Urteile des Verfassungsgerichts ist vielen Menschen am Nil noch nicht ganz klar. "Die ägyptische Straße steht unter Schock", wurde der Sprecher der radikal-islamistischen Salafisten-Partei Al-Nur, Nader al-Bakar, von lokalen Medien zitiert.

"Die Straße steht unter Schock"

Klar ist nur, dass die Generäle ihre Entscheidung, der Militärpolizei zusätzliche Befugnisse zu geben, getroffen haben, um mögliche Proteste gegen ihren jüngsten Coup in den Griff zu bekommen. Wer öffentliches Eigentum zerstört, muss mit drakonischen Strafen rechnen.

Der uncharismatische Muslimbruder Mohammed Mursi hat zwar immer noch gute Chancen, die Stichwahl an diesem Wochenende zu gewinnen. Welche Macht der neue Präsident haben wird, hängt nun aber auch vom Militär ab, das vermutlich die neuen Mitglieder des Verfassungsrates bestimmen wird. Denn da das Gericht die Parlamentswahl für verfassungswidrig erklärt hat, ist als logische Folge auch die vom Parlament abgesegnete Zusammensetzung des Verfassungsrates hinfällig.

Viele Menschen mögen sich jetzt verschaukelt fühlen, weil weder das Militär noch die Justiz gemäß dem Geist der "Revolution" agieren.
Neue Proteste sind zu erwarten. Doch ein Großteil der Ägypter ist revolutionsmüde und will nur noch, dass die Wirtschaftskrise endet und die Polizei wieder für Sicherheit auf den Straßen sorgt.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort