Interview mit Dinosaurier-Experte „Tyrannosaurus Rex war nur eine lokale Größe“

Düsseldorf · Dinosaurier sind doch nur was für Kinder? Bernhard Kegel hat ein Buch geschrieben, um genau das zu ändern. Unser Autor, ein ahnungsloser Erwachsener, hat ihn interviewt.

 Streichelzoo der etwas anderen Art: Ein junger Besucher in der Freiluft-Ausstellung "Dinoworld" im Schweizer Kanton Solothurn.

Streichelzoo der etwas anderen Art: Ein junger Besucher in der Freiluft-Ausstellung "Dinoworld" im Schweizer Kanton Solothurn.

Foto: dpa, pk sme hjp pat

Was ist Ihr Lieblingsdinosaurier?

Bernhard Kegel Der Gigantoraptor sieht aus wie ein gigantischer Papagei. Er ist fünf bis sechs Meter groß, hat einen Papageienschnabel, Federbüschel hinten am Schwanz und an den Vorderextremitäten und riesige Krallen. Eine absolut abstruse Figur, ein völlig neuer Typ von Lebewesen.

Ich weiß nicht einmal, was das "Dino" in Dinosaurier zu bedeuten hat. Können Sie mir weiterhelfen?

Kegel Dino ist eine Verkürzung des griechischen Wortes deinós und heißt schrecklich oder ehrfurchterregend. Dinosaurier wurde immer mit "schreckliche Echse" übersetzt. Den Begriff hat der britische Anatom Richard Owen 1842 geprägt. In seinen Tagebuchaufzeichnungen lässt sich aber erkennen, dass er etwas anderes meinte: "staunenswerte Echsen".

Können wir zu hundert Prozent sicher sein, dass es Dinosaurier gegeben hat?

Kegel Das können wir. Forscher haben tonnenweise Fossilien gefunden, von der Antarktis bis China. Jetzt können Sie den Verschwörungstheoretiker geben und behaupten, das sind Fälschungen oder diese Dinge sind aufgrund von Kräften in Gesteinen entstanden, aber damit begeben Sie sich auf das Niveau von 1800. Das ist lächerlich.

 Bernhard Kegel hat das Buch über Dinosaurier geschrieben, das er im Buchladen nicht fand.

Bernhard Kegel hat das Buch über Dinosaurier geschrieben, das er im Buchladen nicht fand.

Foto: Franziska Hauser

Und die Sache mit dem Kometeneinschlag, der die Dinosaurier vernichtet hat, stimmt auch?

Kegel Das ist relativ sicher. Einige Arbeiten weisen allerdings darauf hin, dass die Dinosaurier-Vielfalt offenbar schon vorher abgenommen hat. In der Zeit vorm Einschlag veränderte sich die Vegetation dramatisch. Die Blütenpflanzen entwickelten sich, vorher waren Nadelhölzer die bevorzugte Baumart. Das muss für die Pflanzenfresser eine Umstellung gewesen sein. Nur wissen wir nicht, ob das ein leichtes Magengrimmen verursacht hat oder ernste Verdauungsprobleme oder sie sogar verhungert sind. Aber das endgültige Aus kam mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit durch diesen Asteroideneinschlag, der auch noch zur Folge hatte, dass möglicherweise Vulkane verstärkt ausgebrochen sind, vor allem in Indien. Die Temperaturen sind wegen der Asche stark gesunken, von einem auf den anderen Tag war statt Sommer Winter. Und der Winter hielt Jahrtausende an.

Wie kommt die Forschung überhaupt auf einen Kometeneinschlag? Den Kometen hat ja vermutlich niemand gefunden.

Kegel Nein, aber den Krater. Zuvor hatte man schon Hinweise entdeckt, chemische Elemente, die man aus kosmischen Gesteinsbrocken kennt, die plötzlich in einer Schicht des Erdmittelalters auftauchten, überall auf der Welt. Dann hat man in Mexiko einen Krater von 180 Kilometern Durchmesser entdeckt, der zur Hälfte im Golf von Mexiko liegt, unter mehreren hundert Metern Meeressedimenten. Der Krater stammt genau aus dieser Zeit vor 60 Millionen Jahren. Der Einschlag soll das Hunderttausendfache der Hiroshima-Bombe an Energie freigesetzt haben.

Das heißt, seit 60 Millionen Jahren gibt es keine Dinosaurier mehr?

Kegel Nein, das heißt es eben nicht. Wir sind ja von Dinosauriern umgeben.

Wie bitte?

Kegel Das ist eine der zentralen Botschaften der Paläontologie (Wissenschaft von den Lebewesen und Lebewelten der geologischen Vergangenheit, d. Red) der vergangenen Jahrzehnte, die aber in der Öffentlichkeit noch nicht richtig angekommen ist: Vögel sind direkte Nachkommen der Dinosaurier. Also sind Vögel Dinosaurier, so wie wir Menschen Säugetiere sind. Momentan leben also so viele Dinosaurierarten wie noch nie auf der Erde. Denn in der vermeintlichen Hochzeit der Dinosaurier haben wahrscheinlich nie mehr als 250 Arten gleichzeitig gelebt. Heute haben wir ungefähr zehntausend Vogelarten.

Mir fehlt die Fantasie, mir vorzustellen, dass Vögel Nachfahren der Dinosaurier sind.

Kegel Wenn Sie an Langhalsdinosaurier mit den langen Schwänzen denken, fällt das schwer. Das sind nicht die Vorfahren der Vögel. Die Vorfahren sind zweibeinige, relativ kleine Raubdinosaurier aus der Verwandtschaft von T. Rex, die relativ früh gefiedert waren. Die Federn dienten allerdings nicht dem Flug, sondern sollten wärmen und die eigene Schönheit und Stärke zeigen. Ein Berliner Künstler hat das Skelett eines Brathähnchens kürzlich auf sieben Meter Größe aufgebläht (Foto). Wer sich das anschaut, zweifelt nicht mehr daran, dass Dinosaurier und Vögel etwas miteinander zu tun haben könnten. Das Äußere mag sehr unterschiedlich sein, aber das Skelett ist sehr ähnlich.

Wir haben eine klare Vorstellung davon, wie zum Beispiel der Tyrannosaurus Rex ausgesehen hat. Doch was uns vorliegt, sind bloß Knochen. Können wir uns trotzdem sicher sein, dass er so aussieht, wie wir ihn aus Filmen kennen?

Kegel Kurze Antwort: nein. Lange Antwort: Der Blick in die Geschichte der Dinosaurierforschung lehrt, dass sich unsere Vorstellungen immer wieder gewandelt haben. Das hängt einerseits von neuen Funden ab, die alles, was bisher bekannt war, in Frage stellen. Andererseits aber auch von technischen Möglichkeiten, die Tiere nachzubilden. Die ersten Skulpturen von Dinosauriern stehen im Crystal Palace Park in London und sehen aus wie eine Mischung aus Echse und Nilpferd, auf vier Beinen stehende, schwerfällige Lebewesen. Die Schöpfer haben sich an dem orientiert, was sie kannten, und das waren die großen Säugetiere. Aber sie konnten sie auch gar nicht anders bauen. Die wurden gemauert und mit Stahlskeletten versehen. Springen wir in die Jetztzeit. In den Jurassic-Park-Filmen gibt es keine gefiederten Dinosaurier. Das hat auch technische Gründe. Als der erste Jurassic Park Anfang der 90er gedreht wurde, war die Computersimulation einer Echsenhaut kein Problem, aber tausende von verschiedenfarbigen Federn darzustellen, die sich im Wind bewegen und durch Licht in anderen Schattierungen erscheinen, das ließ sich damals noch nicht darstellen.

 Der Lieblingsdinosaurier von Bernhard Kegel ist der Gigantoraptor, ein riesiger Papagei.

Der Lieblingsdinosaurier von Bernhard Kegel ist der Gigantoraptor, ein riesiger Papagei.

Foto: Luis Rey

Liegt der Dinosaurierforschung etwas anderes vor als Knochen und Zähne?

Kegel Es gibt noch drei andere Dinge. Das erste sind erstaunlich viele Fußspuren. Mit denen lassen sich andere biologische Fragen beantworten. Aus mehreren Fährten, die parallel laufen, kann man schließen, dass es sich um eine Herde gehandelt hat. Die lebten also nicht alleine, sondern in Gruppen. Dann hat man Dinosauriernester gefunden. Daraus kann man einiges über das Verhalten der Tiere lernen.

Die Forschung hat Nester gefunden?

Kegel Die Eischalen, teilweise embryonale Dinosaurier in den Eiern. Und Strukturen, die man als Nester interpretierte, wenn sie mit Pflanzen ausgepolstert waren. Das Dritte: Es gibt ganz wenige Fossilien, die über die anatomische Botschaft hinaus noch mehr vermitteln. In China hat man ein Fossil gefunden, das übersetzt schlafender Drache heißt, relativ klein. Das Faszinierende: Das war ein sehr vogelähnlicher Dinosaurier, der gefedert war. Der ist im Schlaf von Vulkanasche zugedeckt worden. Er hat den Schnabel unter den Flügel gelegt, der noch kein richtiger Flügel ist, sondern ein gefiederter Vorderarm. Eine typische Schlafhaltung, wie man sie von Enten aus dem Stadtpark kennt.

Wie werden aus Knochen Fossilien?

Kegel Das ist ein seltener Vorgang, der Millionen von Jahren dauert. Die idealen Bedingungen sind Trockenheit und ein Luftabschluss, durch vulkanische Asche, Schlamm, einen Erdrutsch. So wird ein Tier tot oder lebendig verschüttet und gelagert. Dann werden die Stoffe, die in den Knochen sind — die Mineralien — ersetzt durch Mineralien aus der Umgebung. Ganz langsam wird also aus einem Knochen ein Stein. Dabei bleiben mikroskopisch kleine Strukturen erhalten.

Könnte auch DNA erhalten geblieben sein?

Kegel Das ist die Fantasie, die Jurassic Park zu Grunde liegt — aber dass man bis in den molekularen Bereich kommt bei der Fossilisierung, ist eher unwahrscheinlich. Würde man überhaupt DNA finden würde, wäre sie derartig fragmentiert, dass sie sich nicht rekonstruieren ließe. Aber ich sollte vorsichtig sein. Wer hätte noch vor wenigen Jahren geglaubt, dass man Neandertaler-DNA rekonstruieren kann?

Worüber streitet sich die Dinosaurierforschung aktuell?

Kegel Es gibt eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich trotz aller Belege weigert, an die Abstammung der Vögel von den Dinosauriern zu glauben. Die nennen sich BAND, Birds Are No Dinosaurs. Ein anderer Umstand ist immer in der Diskussion: die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Dinosauriern. Aus unvollständigen Skeletten abzuleiten, wer mit wem verwandt war, ist schwierig. Jeder Knochenfund kann eine Vorstellung zum Einsturz bringen. Durch diese Federgeschichte hat das Brisanz bekommen. Die Frage ist, wie weit an die Basis der Dinosaurier dieses Federmerkmal geht.

Aber wir können ausschließen, dass der Tyrannosaurus Rex gefiedert war?

Kegel Nein, auch das ist umstritten. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Jungtiere gefiedert waren. Was man übrigens auch immer fälschlicherweise annimmt: T. Rex war der beherrschende Dinosaurier der ganzen Welt — das war aber überhaupt nicht so. Der Tyrannosaurus Rex war eine lokale Größe, der nur auf einem schmalen Abschnitt im äußersten Westen der Vereinigten Staaten lebte. Aber große Raubdinosaurier gab es überall. Dass der T. Rex so populär geworden ist, liegt daran, dass eine Zeitlang alle Nachrichten über neue Dinosaurier aus den Vereinigten Staaten kamen. Da brach eine Dinosaurier-Manie aus. Die Dinosaurier, die heute jedes Kind runterbeten kann, das sind alles nordamerikanische Dinosaurier. Die Namen der Dinosaurier anderer Kontinenten kennen nur die Experten.

Welche anderen Missverständnisse sind über Dinosaurier im Umlauf?

Kegel Viele Missverständnisse hängen damit zusammen, dass wir Dinosaurier vor allem als Filmstar kennen. Als Filmstar hat man Monster zu sein und nicht Tier. Fleischfresser, immer hungrig, Killer, und das erste, was sie machen, ist: Sie brüllen, dass einem die Ohren klingen. Es gibt die berühmte Szene in Jurassic Park mit dem Wasserglas. Der Zuschauer hat den Tyrannosaurus noch nicht gesehen, aber er hört schon die Tritte und sieht die konzentrisch zulaufenden Wellen im Wasser. Ein T. Rex war nicht größer als ein afrikanischer Elefantenbulle, und ein afrikanischer Elefantenbulle kann sehr behutsam auftreten. Der kann so behutsam auftreten, dass Sie die Hand unter den Fuß legen können und nichts passiert. Wir können davon ausgehen, dass der T. Rex das auch konnte, wenn er nicht früh bemerkt werden wollte. Und bei jeder Gelegenheit loszubrüllen, würde bei der Jagd auch nicht helfen. Diese Dramatisierungen sind für den Film wichtig, haben aber mit der Realität nicht viel zu tun.

Steven Spielberg hat also erst für den schlechten Ruf des weißen Hais gesorgt und dann unsere Vorstellung von Dinosauriern verzerrt?

Kegel Das muss man ihm wirklich um die Ohren hauen. Dem weißen Hai geht es seitdem wirklich schlecht, der Buhmann par Excellence. Bei den Dinosauriern ist die Bilanz geteilt. Einerseits hat man Dinosaurier noch nie so lebensecht und überzeugend gesehen wie in Jurassic Park, ich bin Fan. Andererseits sollten wir uns nicht an das Filmdinosaurierbild von Anfang der 90er klammern, sondern weiterhin offen sein für neue Vorstellungen. Spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts haben sich die Jurassic-Park-Filme vom wissenschaftlichen Fortschritt abgekoppelt. Sie haben den Schritt zu den gefiederten Gestalten bewusst nicht mitgemacht. Niemand hätte die Velociraptoren wiedererkannt, wenn sie plötzlich gefiedert gewesen wären. Und gruselig wären sie auch nicht gewesen.

Warum interessieren sich abgesehen von Forschern nur Kinder für Dinosaurier?

Kegel Darüber könnte ich mich aufregen. Der Hauptanlass, dieses Buch zu schreiben, war folgender: Suchen Sie mal nach Dinosaurierbüchern für Erwachsene — die gibt es nicht. Hingegen gibt es ganze Bibliotheken über Dinosaurier für Kinder und Jugendliche. Eine Erklärung dafür kann ich Ihnen auch nicht bieten. Der erste Dinosaurierfilm war ein Zeichentrickfilm, "Girtie The Dinosaur" von 1914. Vermutlich war das der Zeitpunkt, ab dem der Dinosaurier in die Kinderzimmer abgeschoben wurde. Das Thema ist aber zu groß, um es den Kindern zu überlassen.

Was könnten denn auch Erwachsene an dem Thema spannend finden?

Kegel Dass die Welt auch mal völlig anders war und mit völlig anderen Lebewesen bevölkert war, ist für mich eine faszinierende Vorstellung, über die ich gerne mehr wissen möchte. Dinosaurier haben tausend Mal länger auf der Erde gelebt, als es Menschen gibt. Das sind keine Loser der Evolution, die hatten einfach Pech. Ohne Meteoriteneinschlag hätte es auch keine Menschen gegeben. Sonst hätten sich Säugetiere nicht entwickeln können. Das sollte uns auch eine Warnung sein: Selbst diese Biester sind ausgestorben, bis auf die Vögel. Gegen so einen kosmischen Zufallstreffer ist kein Kraut gewachsen.

(seda)
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