Fromm und rebellisch

Auf dem 82. Deutschen Katholikentag in Essen schlugen 1968 die Wellen der Empörung hoch. Vor allem gegen die "Pillen-Enzyklika" von Papst Paul VI.

Der 82. Katholikentag kam wie gerufen. Zumindest für jene, die ihrem Unmut endlich Luft machen wollten über ihre Kirche, und die im September des Jahres 1968 die geeignete Bühne dafür bekamen. So politisch, so kritisch und so aufgebracht war bis dahin noch kein Treffen der Katholiken gewesen. Und das hatte auch innerkirchliche Gründe: Zwei Monate zuvor hatte Papst Paul VI. seine siebte und letzte Enzyklika veröffentlicht. Ihr Titel: "Humanae Vitae"; ihr Thema: die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens. Etwas verständlicher formulierte: Mit diesem Schreiben untersagte der Pontifex allen Katholiken, empfängnisverhütende Mittel zu nehmen. Pillen-Enzyklika war fortan der inoffizielle Titel des lehramtlichen Schreibens.

Doch nicht nur der Eingriff ins Sexualleben empörte die Gläubigen. Auch der Verfahrensweg. Denn die Mehrheit der eingesetzten Studien- wie auch der Bischofskommission kam zu dem Ergebnis, dass man die Art der Empfängnisregelung den Eheleuten überlassen sollte. Der Papst hatte sich also über das Votum - fast wie in alten Zeiten - selbstherrlich hinweggesetzt. Wo blieb da der Aufbruch, den das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) versprochen hatte? Die Reaktion aus Deutschland kam schnell, aber zweideutig. In der "Königsteiner Erklärung" der deutschen Bischöfe zur Enzyklika konnte man - wenn man wollte - herauslesen, dass die Pille auch Katholiken erlaubt sei. Und in der aufgeheizten Stimmung neigten nicht wenige zu dieser Interpretation. Für etwas mehr Ruhe auf dem Essener Katholikentag aber reichte das nicht. Zumal die Katholikentags-Botschaft des Papstes nicht gerade Gesprächsbereitschaft signalisierte. Im Grußwort Pauls VI. hieß es: "Nicht wenige nehmen heute für sich die Freiheit in Anspruch, ihre rein persönlichen Ansichten mit jener Autorität kundzutun, die sie offensichtlich dem streitig machen, der von Gott dieses Charisma besitzt. Man möchte gern erlaubt wissen, dass jeder in der Kirche meinen und glauben kann, was ihm beliebt. Dabei bedenkt man aber nicht, dass nur der sich voll und ganz in den Dienst der Wahrheit stellt, der sich dem Lehramt der Kirche unterordnet."

Das war kein frohes, ermutigendes Grußwort, sondern ein Maulkorb für die Laien, die nach zeitgemäßen Antworten für das Leben eines Katholiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts suchten. Im Mittelpunkt des rebellischen Geschehens standen die Foren zu Ehe und Familie mit bis zu 5000 Teilnehmern. Transparente wurden entrollt mit Botschaften wie "Gehorsam und neurotisch", "Sich beugen und zeugen" und "Wir reden nicht über die Pille, wir nehmen sie". Plötzlich gab es auch eine "Katholische außerparlamentarische Opposition" (Kapo) und zur offiziellen Katholikentagszeitung ein Gegenblatt: "Kritischer Katholizismus" von einem Aktionsbündnis, das sich im Juni 1968 in Bochum gegründet hatte. Man schien in Essen mit seinem Ärger und seiner Enttäuschung plötzlich nicht mehr alleine zu sein. Das machte erst mutig und dann auch übermütig. So forderte man kurzerhand die Abänderung der kritisierten Enzyklika und - wo man schon mal den Vatikan im Blick hatte - gleich auch den Rücktritt des Papstes.

Andere Resolutionen, die nach stundenlangen, oft quälenden Debatten aufs Papier fanden, waren weniger radikal. Etwa die Erklärung, dass die Teilnehmer des Katholikentags mit großer Mehrheit zu der Überzeugung gekommen seien, "dass sie der Forderung nach Gehorsam gegenüber der Entscheidung des Papstes in Fragen der Methoden der Empfängnisverhütung nach Einsicht und Gewissen nicht folgen können".

Essen war ein Großereignis mit eigener Dynamik. So revolutionär und vehement zeigten sich kritische Katholiken kein zweites Mal. Es war aber ein wichtiger Schritt, kritische Fragen in der Öffentlichkeit beim Namen zu nennen. Und dies blieb für die deutsche Kirche wichtig. "Essen wurde zum kollektiven Erinnerungsort, an dem erstmals von großen Veränderung im deutschen Katholizismus die Rede war", so der Bochumer Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg.

Essen war aber auch der Ort, an dem sich die Kirche polarisierte. Auf der Bühne des Katholikentags war noch einmal etwas von jener Euphorie zu spüren, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil viele Menschen ergriffen hatte. Und die Würzburger Synode (1971-75) suchte Anschluss an die hohen Erwartungen zu finden.

Essen ist Geschichte. Eine lehrreiche vielleicht. 50 Jahre danach wird es in zwei Wochen auf dem Katholikentag in Münster ein Podium dazu geben. "Theophile Revoluzzer und linke Fromme" heißt es. Ort: Vom-Stein-Haus am Schlossplatz, Aula, zweites Obergeschoss.

(los)
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