Münster Moore in Münster

Münster · Münster ist immer einen Ausflug wert. Zurzeit lockt die Stadt mit attraktiven Ausstellungen. Im Zentrum: Henry Moores Lebenswerk.

Der "Bogenschütze" ist eines der Paradestücke von Henry Moore. Die hoch aufragende Bronzeskulptur vor dem LWL-Museum in Münster vereint in sich, was einen typischen Moore ausmacht: die Kontaktaufnahme mit dem umgebenden Raum, die Monumentalität, die Anlehnung an Urformen, die Stellung zwischen Figürlichkeit und Ungegenständlichkeit und die Herausforderung, das Ganze zu deuten.

Das runde D-Element lässt sich tatsächlich als Bogen begreifen, das säulenartige Element als stark abstrahierte Halbfigur. Doch ebenso gut ließen sich diese Formen als Elemente der Natur verstehen. Im Münsteraner Museum kann man dieses Spiel der Wahrnehmung nun anhand von 64 aus der Tate Gallery stammenden Werken des vor 30 Jahren gestorbenen britischen Bildhauers und Zeichners treiben. Weitere fast 60 Werke betten Moore in den Zusammenhang der Zeitgenossen, von denen er sich inspirieren ließ, und derer, die sich von ihm etwas abguckten. So reicht die Spanne von Picasso bis zu Lüpertz.

Henry Moore wurde gerade für Deutschland deshalb so wichtig, weil er es schaffte, als Brite mit seinen Werken auf öffentlichen Plätzen ein Zeichen zu setzen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt öffnete dem bereits "documenta"-erfahrenen Künstler die Tür, als er von ihm 1979 die Bronzeskulptur "Large Two Forms" vor Bonns Kanzleramt aufstellen ließ.

Damals wurde viel darüber gerätselt, ob die beiden großen Formen womöglich die Bundesrepublik und die DDR bedeuten sollten. Und mancher fragte, ob Deutschland nicht selbst genug Bildhauer habe, um einen solch prominenten Ort zu besetzen. Jedenfalls stieg Moore vollends zu einer Art deutschem Nationalkünstler auf. Düsseldorf legte sich für den Hofgarten eine "Liegende Figur in zwei Teilen" zu; der "Bogenschütze" hatte bereits 1968 seinen regulären Platz vor der Berliner Nationalgalerie eingenommen.

In geschlossenen Räumen verlieren Moores Plastiken leicht an Ausstrahlung. Auch im LWL-Museum machen die zahlreichen kleinen und mittleren Arbeiten einander Konkurrenz. Andererseits zeigt sich dabei aber auch, wie sehr Henry Moore der "Liegenden" zu einem Platz in der modernen Kunst verholfen hat. Davon zeugt Markus Lüpertz' dreiteilige Bronzeplastik "Der Krieger" ebenso wie Joseph Beuys' winzige, großartige Verneigung vor Moore in einem kargen Objekt, das aus dem Museum Moyland stammt: einem Döschen mit einer Liegenden aus Einmachgummi mit Lasche. Fast alle der Künstler, deren Werke in die Moore-Schau eingestreut sind, hatten bereits 1950 die erste Moore-Ausstellung in Deutschland gesehen, entweder im Kunstmuseum Düsseldorf oder in Hamburg.

Was beim Rundgang durch die Münsteraner Schau auffällt, sind die häufigen Mutter-und-Kind-Darstellungen. Die Serie begann, nachdem nach mehreren Fehlgeburten Moores Ehefrau Irina 1946 die gemeinsame Tochter Mary zur Welt gebracht hatte. Das Verschmelzen von Mutter und Tochter in Bronze und auf Papier zeugt erneut davon, wie sehr Moore die organischen Formen der Natur verehrte. Schon Mitte der 70er Jahre hatte er es mit seiner Kunst zu einigem Wohlstand gebracht, konnte es sich sogar leisten, als Mäzen tätig zu werden. Als er 1976 bei einem Rundgang durch die Mittelalter-Abteilung des Münsteraner Museums auf das lebensgroße Sandstein-Ensemble "Christi Einzug in Jerusalem" von Heinrich Brabender stieß, war er davon so berührt, dass er eine Monografie zum Werk des Münsteraner Bildhauers finanzierte und dazu ein Vorwort verfasste. Jetzt gewährt die Ausstellung einen dezenten Blick auf die Figurengruppe im Stockwerk darunter.

Wer eine Moore-Ausstellung verlässt, ohne einmal mit der Hand über eine der anschmiegsamen Plastiken gefahren zu sein, wird etwas vermissen - Kinder vor allem. Zumindest eine Skulptur ist zum Streicheln freigegeben, gleich die erste - damit es nicht so schwer fällt, bei den anderen das Berührungsverbot zu befolgen.

Nicht weit vom LWL-Museum befindet sich das Kunstmuseum Pablo Picasso. Zurzeit ist dort die Ausstellung "Matisse. Die Hand zum Singen bringen" zu sehen: überwiegend grafische Blätter, die seit mehr als 60 Jahren in einem Pariser Banksafe lagerten, dann als Dauerleihgabe nach Münster kamen und dort jetzt erstmals ausgestellt sind, angereichert durch Arbeiten aus der Sammlung des Picasso-Museums. Wer diese Schau durchstreift, fühlt sich in eine Welt der Reinheit und Ruhe versetzt, wie der Künstler selbst einmal sagte. Eine Welt auch der Haremsdamen, des orientalischen Ambientes, das Matisse in Algerien und Marokko kennengelernt hatte, eine Welt aus Jazzklängen, die der Künstler in Scherenschnitten eingefangen hat, und aus Dekorationen aller Art. Wer den Themen Trump, Flüchtlinge, Islamismus und Klimaschutz für ein, zwei Stunden entgehen möchte - hier wird er sich gut aufgehoben fühlen.

(B.M.)
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