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Küchenlatein

Der Werbetexter Peter Breuer hat alte Kochkladden gesammelt und die schönsten in einem neuen Buch arrangiert. Entstanden ist ein intimer Blick in Küchen und Leben.

Um eine Schwarzbrottorte zu vertilgen, brauchte es einen robusten Magen und eine große Familie: 24 Eier sieht das Rezept vor, das aus einer Kochkladde aus dem 19. Jahrhundert stammt. Hühner hielt damals eben fast jeder hinterm Haus, sagt der Autor und Werbetexter Peter Breuer, und Eier waren eine erschwingliche wie erreichbare Zutat. "Etwas wunderlich schmeckt die Torte aber schon", erzählt der im bergischen Radevormwald aufgewachsene Wahl-Hamburger, der etliche der alten Gerichte nachgekocht hat, um das Aroma vergangener Tage wieder aufleben zu lassen. Rund 80 Kladden aus drei Jahrhunderten hat Breuer gesammelt, und aus den 15 schönsten das Kompendium "Kochtagebücher" kuratiert. Es ist eine Reise in eine Zeit, in der das Kochen selbstverständlicher Teil des Lebens war und nicht gerne vor Freunden aufwändig herausgestellte Handwerkskunst.

Die Idee zu dem Projekt kam Breuer, als er auf der Suche nach alten Handschriften das Kochbuch von Bertha Hieber ersteigerte. Von 1835 an hat die Bayerin darin auf 524 Seiten in gestochenem Sütterlin Rezepte notiert, sich aber auch über Tinkturen für kranke Kühe und Nervensalben, über Tischordnungen bei Feiern und Geheimmittel gegen das Ausbleiben der Periode ausgelassen. Breuer war fasziniert, weil die Kladde viel tiefere Einblicke erlaubte als nur in eine Küche. "Daraufhin musste ich gleich das nächste Buch besorgen", erzählt er - und hatte bald eine kleine Koch-Bibliothek beisammen. Jede dieser Kladden erzählt Geschichten, über die kulinarischen Gepflogenheiten natürlich, aber auch über alltägliche Freuden und Wehwehchen, über Kriegsängste und Lebensträume - und nicht zuletzt über die Autoren.

Mit detektivischem Spürsinn hat der 52-Jährige, so weit möglich, Biographisches über die Verfasser zusammengetragen. Über den Konditor Erich Matz aus Bergen auf Rügen, der 1886 begann, seine Rezepte zu notieren und Pralinen zu skizzieren. Oder über die Dillenburgerin Wilhelmine Wenckenbach, die ab 1850 über 38 Jahre Kochtechniken zusammentrug, etwa, wie man Kaffeebohnen lagert, ohne dass sie ihr Aroma verlieren. "Es ist faszinierend zu sehen, wie unterschiedlich und liebevoll diese Bücher geführt wurden", sagt Breuer. "Teils sind sie mit Zeichnungen, eingeklebten Muttertagskarten oder getrockneten Blättern verziert." Breuer stieß auch auf Verstörendes: In einem Alchimistenkochbuch von 1720, das Rezepte zur Herstellung von Tinte und Mottenkugeln aufführt, auf eine kräftige Brühe gegen Arthritis, zu deren Zutaten ein junger Hund gehört. "Erst habe ich das für einen Übertragungsfehler von mir aus dem Handschriftlichen gehalten", sagt Breuer. "Aber eine Historikerin hat den Hund später bestätigt."

Ansonsten geht es in den Kladden aber bodenständig und handfest zu. Die zumeist weiblichen Autoren wissen, wovon sie reden, jonglieren professionell mit Fachbegriffen, erklären wenig bis nichts. Mengenangaben fehlen oft, weil sie sich aus Sicht der Hausfrauen erübrigen: "Gib das nöthige Mehl hinzu" heißt es etwa an einer Stelle, und jeder weiß, was gemeint ist. Oder lässt es bleiben. Kochen war integraler Bestandteil des Alltags, es wurden oft täglich zwei warme Mahlzeiten zubereitet. "Aus den Büchern lässt sich auch ablesen, dass es eine einheitliche deutsche Küche nicht gab, stattdessen starke regionale Unterschiede", sagt Breuer.

Gekocht wurde natürlich ohne Geschmacksverstärker oder exotische Gewürze, nur mit Salz und Pfeffer sowie regional verfügbaren Zutaten. Es existierten keine Backtriebmittel, Trockenhefe wurde erst um 1870 erfunden. Die Kochzeiten waren oft lang, Angaben zur Temperatur vage. Man solle den Topf dahin schieben, "wo die Hitze etwas gelinder ist", heißt es an einer Stelle. Kühlschränke gab es nicht, alles wurde schnell verarbeitet. "Man ist beispielsweise sehr bewusst mit Fleisch umgegangen, hat das ganze Tier benutzt", sagt Breuer. Daran würde man auch sehen, wie sich der Umgang mit Lebensmitteln heute verändert habe - fast alles sei mittlerweile vorgekocht, konfektioniert, abgepackt. Frische Zutaten würden viel zu selten benutzt.

Bei der Aufbereitung der Kochkladden war Breuer und Designer Fons Hickmann daran gelegen, Auszüge der Bücher in Originalgröße abzubilden. Ausgewählt wurden die Bände, die besonders viele Rezepte enthalten, einige von ihnen eigens übersetzt, um sie nachkochen zu können. Aufgelockert wird das Buch durch Bilder des Hamburger Fotografen Hans Hansen, der für jede Kladde eine prägnante Zutat ablichtete. So verbinden sich in den "Kochtagebüchern" Historie und Gegenwart - der gemeinsame Nenner ist der Küchentisch, damals wie heute das Epizentrum des alltäglichen Familienlebens.

(RP)
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