Düsseldorf Im Herbst gerät der Igel unter Stress

Düsseldorf · Das Stacheltier muss genug Futter fassen für den Winterschlaf. Untergewichtige Igel sollten auf keinen Fall mit Milch gefüttert werden.

Erst spielten sie Fußball mit ihm, und dann legten sie seinen geschundenen, aber noch lebenden Körper auf den Holzkohlegrill. Der Igel hatte keine Chance, als ein paar Jugendliche nahe Bremerhaven ihre brutalen Spiele mit ihm trieben. Auch in den Mülltonnen von Willich wurden kürzlich verbrannte Igel gefunden. Den meisten Menschen stockt bei solchen Nachrichten der Atem, und sie begrüßen es, wenn jetzt, wie in Bremerhaven, der mutmaßliche Haupttäter vor Gericht kommt.

Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss. Diese taten können indes Anlass sein, sich genauer anzusehen, wie Igel in unserer unmittelbaren Nähe leben. Das Kernproblem der Igel ist: Das Leben lässt ihnen einfach keine Zeit. Ihr Stress beginnt schon mit der Geburt. Zwei von drei Igelbabys kommen erst im August zur Welt, so dass ihnen nur wenige Wochen bleiben, sich bis Ende Oktober genügend Fettdepots für einen Winterschlaf zuzulegen, der fünf bis sechs Monate dauern kann. Sie benötigen dazu ein Mindestgewicht von 500 bis 600 Gramm, das sie sich mittels Insekten sowie Fallobst, Samen und Nüssen anfressen müssen. Das ist mitunter ein schwieriges Unterfangen: Für bis zu vier von fünf Jung-Igeln ist der erste Winterschlaf auch gleich der letzte. Nichtsdestoweniger raten Experten in der Regel davon ab, untergewichtige Stacheltiere – man erkennt sie an der "Hungerlinie", einer Einbuchtung im Nacken – in einer menschlichen Behausung einzuquartieren. Denn ihre Überlebensquote liegt dann ebenfalls nur bei 20 Prozent, weil sie vom Nahrungserwerb in der freien Wildbahn entwöhnt und nach der Winterpause meistens zu spät entlassen werden, so dass ihre frei lebenden Artgenossen bereits alle Reviere besetzt haben.

"Nur wenn ein Igel auffallend unterernährt oder krank ist, sollte er versorgt oder einer Igelstation übergeben werden", sagt Stefan Bosch von der Umweltorganisation Nabu. Kranke Tiere, die beispielweise torkeln, Nahrung verweigern oder sich nicht mehr einrollen, wären natürlich auch ein Fall für den Tierarzt, doch dessen Kosten muss in der Regel der Igelfinder tragen.

Ansonsten hilft man den dämmerungs- und nachtaktiven Jungigeln im Herbst besser dadurch, dass man abends etwas Katzentrockenfutter und eine Schale Wasser – keine Milch, denn deren Zucker führt bei den Tieren zu schlimmem Durchfall! – in den Garten stellt. Vorzugsweise unter einer umgestülpten, leicht gekippten Holzkiste, zum Schutz vor Katzen und Regen. Unterschlüpfe wie Geschirrhütten, Wurzelwerk, Trockenmauern, Treppenaufgänge, Kompostmieten, Hecken und Reisighaufen erleichtern dem Kleinsäuger, der mit den Maulwürfen verwandt ist, die Suche nach dem probaten Winterquartier. "Ergänzend können selbst gezimmerte Igelhäuschen oder aus Holzbeton gefertigte Igelkuppeln angeboten werden", so Bosch.

Ein weiteres Tempoproblem der Igel ist, dass hierzulande jährlich mehr als eine halbe Million von ihnen vom Auto überrollt werden. Sie können diese Gefahr offenbar nicht einschätzen. Vorzugsweise auf kleineren, weniger befahrenen Straßen passiert es, so dass tierliebende Autofahrer möglicherweise aussteigen könnten, um den unter Naturschutz stehenden Stachelpummel aus der Gefahrenzone zu tragen. Oft lässt er das sogar mit sich machen.

Doch wohin dann mit ihm? "Am besten trägt man ihn zu der Straßenseite, die er aufsuchen wollte", rät Flavia Zangerle vom Igelzentrum Zürich. Ihn irgendwo anders, weit weg vom Verkehr abzusetzen, hätte nur wenig Sinn. "Denn Igel sind standorttreu", betont die Geographin. Würde man sie aus ihrem gewohnten Areal herausreißen, gingen sie sofort auf Wanderschaft, sie würden herumirren, Stress ausgesetzt sein und früher oder später aller Wahrscheinlichkeit nach wieder eine Straße überqueren.

Das Leben der Igel ist hart, auch ohne die schändlichen Taten der vergangen Wochen.

(RP)
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