Ein ganzes Brot für mich allein

W eihnachten 1945 war ein Fest, das ich nie vergessen werde. Wir wohnten in Danzig, und Heiligabend kamen Vater - er war im November aus russischer Zivilgefangenschaft entlassen worden - und mein Bruder von der Arbeit heim. Auf dem Schlitten zogen sie ein kostbares Gut: ein Stück von einem riesigen Balken aus dem jahrhundertealten Dachgebälk der zerstörten Brigittenkirche.

Dieses Stück Holz bedeutete Wärme und Licht für uns. Mit Kienspänen beleuchteten wir, weil die Stromversorgung noch nicht funktionierte, unsere Wohnung. Auch einen Tannenbaum hatten mein Vater und mein Bruder auf den Schlitten gepackt. Christbaumschmuck, ein paar Kerzenstummel vom Vorjahr und unsere Krippe lagen noch auf dem Dachboden unseres Hauses. Wir konnten also wie gewohnt Weihnachten feiern mit Gebeten und unseren deutschen Weihnachtsliedern. In der Kirche durfte nicht mehr Deutsch gesprochen werden, obwohl die meisten Besucher in unserer Pfarrgemeinde damals Deutsche waren. Wir gingen trotzdem in den Gottesdienst, der in zwei Zimmern des Pfarrhauses stattfand. Schließlich war ich als Achtjähriger Messdiener und durfte mitwirken.

Es gab sogar Geschenke! Für jeden von uns gab es etwas zu essen. Ich bekam ein ganzes Brot, ein Brot für mich ganz allein! Es war das allergrößte Geschenk, das ich je zu Weihnachten bekam. Wenn das kein Fest war! Aber war es wirklich eine "Friedensweihnacht"?

Gerhard Erb, Düsseldorf

(RP)
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