Singles suchen Wärme bei Fremden Kuschelpartys: Der neue Trend aus den USA

Berlin/New York (rpo). "Möchtest Du mit mir kuscheln?" - Was heute noch als eine sehr ungewöhnliche Frage an einen Fremden verstanden werden würde, könnte schon bald ein ganz normales Verhalten von Singles rund um den Erdball sein. Kuschelpartys sind in New York derzeit der letzte Schrei. Nun schwappt die Welle auch nach Deutschland.

 Die Sehnsucht nach Nähe wird bei Kuschelpartys mit Fremden befriedigt.

Die Sehnsucht nach Nähe wird bei Kuschelpartys mit Fremden befriedigt.

Foto: ddp, ddp

Gedimmtes Licht, schmeichelnde Klänge. "Möchtest du mit mir kuscheln?", fragt Jennie einen völlig unbekannten Mann. Auf mehr ist die 32-jährige Berlinerin - seit sechs Monaten Single - aber auch nicht aus. Verliebte Pärchen hat sie an den ersten Frühlingstagen neidisch beäugt, jetzt ist sie mit rund 50 anderen auf einer "Kuschelparty" - und vermisst für einige Stunden nichts mehr.

"Kuscheln ist ein menschliches Grundbedürfnis", sagt Diplombiologin Rosemarie Doebner. "Aber viele können sich die Sehnsucht nach Nähe nicht erfüllen." Doebner ist eine von Deutschlands ersten "Kuscheltrainerinnen". Ihre neue Partyreihe in einem kleinen Hinterhof-Medidationszentrum in Berlin-Kreuzberg erfreut sich solcher Beliebtheit, dass für Mai die erste Großveranstaltung mit mehr als hundert Kuschlern, Tanz und DJ ansteht. Eine Orgie soll es aber auch dann nicht werden, denn Nacktheit und Sex sind tabu, ebenso wie Alkohol und Drogen.

Als Beziehungs-Coach Reid Mihalko und seine Freundin Marcia Baczynski vor rund einem Jahr befreundete Musiker, Produzenten und Schauspieler zur ersten Kuschelparty in ihr New Yorker Appartement luden, ahnten sie nicht, dass sie damit eine "Bewegung" lostraten. Derzeit bilden die beiden "Kuscheltrainer" für ganz USA und Kanada aus. "Wir sind sicher, dass wir auf etwas Großes gestoßen sind, etwas, das universell ist", schwärmt Marcia und spricht von der "Flanell-Revolution", nach dem Stoff, aus dem der Kuschel-Dresscode ist: Pyjamas.

Der "Markt" ist auch in Deutschland da, wie ein Blick auf die amtliche Statistik zeigt: In den Städten quer durch die Republik - von Hamburg bis München, Schwerin bis Trier - stellen allein Lebende rund die Hälfte aller Haushalte. So findet sich auch in Köln, Düsseldorf, Bonn, Tübingen und Freiburg bereits regelmäßig ein buntes Völkchen zum Kuscheln ein, mal im Ambiente einer esoterischen Selbsthilfegruppe, mal mit etwas mehr Coolness. Von Anzughose bis Jogginganzug, von Rasta-Locken bis Kahlkopf, von Bier- bis Waschbrettbauch, von 25 bis 65 Jahren - ein Blick in die Runde zeigt: Dem geneigten Kuschler sollte es eher auf die inneren Werte ankommen.

Tatsächlich wollen die Eltern der Bewegung dem Körperkontakt seine absichtslose Ursprünglichkeit und Unschuld zurückgeben. "Irgendwo auf dem Weg des Erwachsenwerdens und der Sexualität wurde unser natürliches Berührungsbedürfnis als 'falsch' deklariert", erläutert Reid Mihalko. "Viele sind unglaublich befreit, wenn sie entdecken, dass sie andere wieder liebevoll berühren können, ohne es 'auf das nächste Level' treiben zu müssen." Reid nennt seine Kuschelpartys daher auch "außergewöhnlich, aber ganz sicher normal".

Allen Partys gemeinsam sind die von Reid und Marcia geprägten Regeln, die bei Aufwärmspielchen eingeübt werden. So gilt: erst fragen, dann kuscheln. Wer dann auf dem großen Matratzenlager mit Haarekraulen, Rückenmassagen und Näseln beginnt, endet meist in einem Haufen von Leibern, über- und untereinender verknäult und löffelnd. Die Mienen der Teilnehmer wirken schließlich auffällig entspannt.

"Die Menschen können Selbstliebe und Angenommensein neu entdecken", erläutert Doebner, selbst erklärtes "Kuschelmonster". Außerdem baue Kuscheln Stresshormone ab. Das hat - zum Preis einer Praxisgebühr - auch bei ihrem neuen Kuschelschüler Roberto (43) gewirkt: "Ich habe heute von einer Frau, in die ich sehr verliebt war, einen Korb bekommen, war aggressiv und wütend. Dann bin ich spontan zur Party gegangen. Jetzt bin ich wieder viel mehr in meiner Mitte."

(afp)
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