Fall Peggy Chef-Ermittler: "Kannte Tathergangsszenario nicht"

Bayreuth · Knapp neun Stunden wird der frühere Chef-Ermittler im Fall Peggy als Zeuge befragt. Spät kommt der spektakuläre Teil seiner Aussage: Von einer Tathergangshypothese in den Akten habe er nichts gewusst. Doch das Dokument ist wesentlich bei der Neuauflage des Falls.

Fall Peggy - das Wiederaufnahmeverfahren beginnt
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Im neu aufgerollten Prozess um das Verschwinden der kleinen Peggy hat der frühere Chef-Ermittler zugegeben, eine wichtige Akte nicht gekannt zu haben. Dabei geht es um eine von der Polizei erstellte Hypothese zum möglichen Tathergang im Fall der vermissten Neunjährigen aus Oberfranken. Das später widerrufene Geständnis von Ulvi K., der im April 2004 als Mörder Peggys zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, war diesem Szenario verblüffend ähnlich. Jetzt gibt es den Verdacht, der geistig Behinderte könne im Sinne der Tathergangshypothese beeinflusst worden sein.

"Dass ein solches Szenario erstellt wurde, ist mir selbst neu. Ich weiß erst seit einigen Wochen davon", sagte der Zeuge Wolfgang Geier am Freitag vor dem Landgericht Bayreuth. Der Fall Peggy wird erneut verhandelt, weil Gericht und Gutachtern vor zehn Jahren nicht bekannt war, dass es eine Tathergangshypothese gab. Die Leiche des Mädchens wurde nie gefunden.

Die Hypothese wurde vom Polizei-Profiler Alexander Horn erstellt:
"Ich sollte für die Ermittler ein denkbares Szenario entwickeln, was mit Peggy passiert sein könnte." Horn, der Leiter der Operativen Fallanalyse der bayerischen Polizei ist, kam dabei zu dem Ergebnis, Peggy könnte missbraucht und vom Täter wenige Tage später getötet worden sein, um die Tat zu vertuschen.

Von der Hypothese will der damalige Chef-Ermittler Geier laut seiner Aussage aber erst aus Presseberichten "im Vorfeld des neuen Prozesses" erfahren haben. Er habe sich daraufhin seine alten Dienstaufzeichnungen besorgt. "Als diese Hypothese Ende April 2002 angeblich besprochen worden sein soll, hatte ich Urlaub und war nicht im Dienst", erklärte er. "Hätte ich das Schreiben zur Kenntnis genommen, hätte ich es mit Namen und Datum signiert."

Wie seine jetzigen Nachforschungen ergeben hätten, sei das Papier in einer Nebenakte abgelegt worden. Er könne nicht sagen, ob diese Akte später dem Gutachter für den Prozess im Jahr 2004 weitergegeben wurde. Geier betonte, die Hypothese bestehe nur aus wenigen Sätzen. "Fachlich würde ich da eher nicht von einer Tathergangshypothese sprechen."

Der Vorsitzende Richter Michael Eckstein ließ im Gerichtssaal einen Film vom Juli 2002 mit der Tatrekonstruktion der Ermittler zeigen. Ulvi K. ist darin auf einer Sitzbank am Marktplatz von Lichtenberg zu sehen. "Hier habe ich auf Peggy gewartet, um mich bei ihr dafür zu entschuldigen, was passiert ist", spricht er in die Kamera. Als der Ermittler von ihm wissen will, was passiert sei, antwortet er: "Ich war mit ihr im Bett. Die Peggy wollte das. Hinterher hat sie geweint." An einer Puppe zeigte der damals 24-Jährige vor laufender Kamera, wie er Peggy getötet habe.

Der Kriminalbeamte Geier verteidigte die Ermittlungen gegen Ulvi K.:
Der Gastwirtssohn habe zuvor bereits Kinder sexuell missbraucht. "Und der Tatverdächtige hielt sich nachweislich in der Nähe des Marktplatzes auf, was er vorher bestritten hatte." Im Juli 2002 legte Ulvi K. ein Geständnis ab, das er später allerdings widerrief.

Die Verteidigung hatte beim Prozessauftakt am Donnerstag den damaligen Soko-Ermittlern Foltermethoden bei der Befragung von Ulvi K. vorgeworfen. Geier wehrte sich dagegen: "Der einzige, der ihn bei den Verhörterminen angeschrien hat, war sein eigener Rechtsanwalt."

Geier hatte seine Arbeit als Chef-Ermittler der Soko "Peggy 2" Ende Februar 2002 aufgenommen - weil die erste Soko das spurlose Verschwinden Peggys nicht aufklären konnte. "Das Innenministerium suchte erfahrene Spezialisten, um den Fall nochmals zu überprüfen", berichtete Geier.

(dpa)
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