Mädchen verschwand vor 13 Jahren Fall Peggy: Zeuge wollte Falschaussage aufklären

Bayreuth/Halle · Fast 13 Jahre ist es her, dass die kleine Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg verschwand. Seitdem fehlt jede Spur von ihr. 2004 wurde der geistig behinderte Ulvi K. in einem Indizienprozess wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. Es blieben Zweifel und viele offene Fragen. Dem angeblichen Zeugen soll von seinem Anwalt geraten worden sein, seine Falschausssage vorerst nicht aufzuklären.

Fall Peggy - das Wiederaufnahmeverfahren beginnt
7 Bilder

Fall Peggy - das Wiederaufnahmeverfahren beginnt

7 Bilder

Das Verfahren wird neu aufgerollt, weil ein Belastungszeuge des ersten Prozesses eine Falschaussage gestanden hat. Ein früherer Ermittlungsrichter schilderte vor dem Landgericht, wie es zu einer verhängnisvollen Falschaussage eines Belastungszeugen gekommen war.

Der mittlerweile gestorbene Zeuge hatte im ersten Prozess 2004 behauptet, der Angeklagte Ulvi K. habe ihm den Mord an der neunjährigen Schülerin Peggy gestanden. Im September 2010 widerrief er diese Behauptung gegenüber dem Ermittlungsrichter.

Seine Falschaussage habe den 55-jährigen Mann später sehr belastet, berichtete der Zeuge. Sein Rechtsbeistand soll ihm aber geraten haben stillzuhalten, bis die Falschaussage verjährt sei. Erst als bereits todkranker Mann habe er dann reinen Tisch gemacht.

Ulvi K. bestreitet die Tat

Fall Peggy: Polizei öffnet Grab auf Friedhof (Januar 2014)
7 Bilder

Fall Peggy: Polizei öffnet Grab auf Friedhof (Januar 2014)

7 Bilder
Foto: dpa, David Ebener

Im Wiederaufnahmeverfahren hat Ulvi K. die Ermordung der Neunjährigen bestritten. Sein Mandant bestreite sowohl das Tötungsdelikt als auch den ebenfalls angeklagten sexuellen Missbrauch des Mädchens, sagte sein Verteidiger Michael Euler am Donnerstag vor dem Landgericht Hof. Sein geistig behinderter Mandant habe im ersten Verfahren nur unter dem massiven Druck der ermittelnden Polizeibeamten ein falsches Geständnis abgelegt.

Der Fall Peggy ist einer der rätselhaftesten Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. Die Grundschülerin kehrte im Mai 2001 nicht von der Schule nach Hause zu ihrer Mutter zurück, sie ist seitdem spurlos verschwunden. Die Polizei geht von einem Mord an dem Mädchen aus.

In einem ersten Prozess war 2004 der ebenfalls aus Lichtenberg stammende Ulvi K. vom Landgericht Hof wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach damaliger Überzeugung des Gerichts tötete Ulvi K. das Mädchen, weil dieses gedroht habe, ihrer Mutter von einer Vergewaltigung wenige Tage vorher zu berichten.

Zweifel an Gutachten

Inzwischen sind Zweifel an einem für das Urteil maßgeblichen Gutachten aufgekommen sind. Der Gutachter hatte eines von mehreren Geständnissen von Ulvi K. als glaubwürdig eingestuft, obwohl dieser das Geständnis später widerrufen hatte.

Der Gutachter ging damals davon aus, dass die Ermittler keine Tathergangshypothese aufgestellt hatten und folglich K. keinen Tatablauf suggerieren konnten. Doch mittlerweile steht fest, dass es solch eine Tathergangshypothese gab und diese dem widerrufenen Geständnis ähnelt.

Euler sagte, sein Mandant sei "gut führbar wie verführbar" gewesen. Die Polizisten hätten ihn mit dem Versprechen zum falschen Geständnis gebracht, dass er dann nicht ins Gefängnis, sondern in ein Krankenhaus komme.

Der Verteidiger des inzwischen 36-jährigen K. will in der Neuauflage einen Freispruch für seinen Mandanten erreichen. K. musste seit seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft seine Haftstrafe bislang noch nicht antreten. Er ist wegen sexueller Übergriffe auf Kinder in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht.

Noch viele offene Fragen

Im Fall Peggy wird seit knapp zwei Jahren erneut ermittelt. Zwei Bekannte der Familie des Mädchens gerieten dabei ins Visier der Staatsanwaltschaft. Jetzt wird der Prozess neu aufgerollt - und es gibt viele Fragen.

Weshalb wird der Fall Peggy nach zehn Jahren neu aufgerollt? Das Landgericht Bayreuth ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens aus zweierlei Gründen an: Ein wichtiger Belastungszeuge räumte im September 2010 ein, falsch ausgesagt zu haben. Er hatte 2004 behauptet, Ulvi K. habe ihm den Mord an Peggy gestanden. Beim damaligen Prozess war außerdem nicht bekannt, dass die Ermittler eine Tathergangshypothese erstellt hatten - sie war dem späteren Geständnis von Ulvi K. verblüffend ähnlich.

Wie und weshalb soll Ulvi K. die kleine Peggy getötet haben? Das Gericht war davon überzeugt, dass der Gastwirtssohn die Schülerin zunächst auf einem Feldweg verfolgte und ihr dann so lange Mund und Nase zuhielt, bis sie sich nicht mehr rührte. Mit diesem Mord habe er einen vier Tage zuvor begangenen sexuellen Missbrauch an Peggy vertuschen wollen, hieß es im Urteil.

Warum gibt es Zweifel an dieser Version? Ulvi K.'s Betreuerin Gudrun Rödel führt ins Feld, dass er wegen seines enormen Körpergewichts gar nicht in der Lage gewesen wäre, dem Mädchen hinterherzurennen. Außerdem müsste ein geistig Behinderter das perfekte Verbrechen begangen haben - denn die Leiche von Peggy wurde nie gefunden. Auch Spuren gibt es so gut wie keine.

Welche Behinderung hat Ulvi K.? Der heute 36-Jährige erlitt im Alter von zweieinhalb Jahren eine Gehirnhautentzündung. Seitdem ist er geistig behindert. Ein Gutachten aus dem Jahr 2003 bescheinigte ihm einen IQ von 67.

Wo ist Ulvi K. untergebracht? Ulvi K. ist in keinem Gefängnis. Wegen exhibitionistischen Handlungen vor Kindern wurde er noch vor seiner Verurteilung im Fall Peggy in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Dort befindet er sich noch immer. Seine Freiheitsstrafe wegen Mordes hat er noch nicht angetreten. Sollte Ulvi K. von dem Vorwurf freigesprochen werden, kommt er nicht automatisch aus der Psychiatrie frei.

Wurde bei der Suche nach Peggy tatsächlich auch Hinweisen von Hellsehern nachgegangen? Die Polizei prüfte jeden Hinweis zunächst auf Plausibilität. Das galt auch für Tipps von Hellsehern. Denn: Der Täter hätte sich als Hellseher ausgeben können, um sich nicht verdächtig zu machen, wie ein Polizeisprecher erklärt.

Lebt Peggy womöglich noch? Die Unterstützer von Ulvi K. haben diese Theorie immer wieder ins Spiel gebracht. Sie glauben an eine Entführung. Bereits bei den ersten Ermittlungen 2001 und 2002 gaben Zeugen an, ein Auto mit tschechischem Kennzeichen in Lichtenberg gesehen zu haben, in das Peggy eingestiegen sei. Diese Spur führte aber ins Leere.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort