Der wievielste Mensch sind Sie? Ab heute sind wir 7.000.000.000

Düsseldorf (RP). Symbolisch ist an diesem Montag der siebenmilliardenste Mensch auf Erden begrüßt worden - und zwar auf den Philippinen. Während Kinder vor allem in den Entwicklungsländern noch als Lebensversicherung gelten, überaltert die Gesellschaft in den Industrienationen.

 In Asien lebt rund 60 Prozent der Weltbevölkerung.

In Asien lebt rund 60 Prozent der Weltbevölkerung.

Foto: epa, dpa

Drei reichen völlig. Mit drei Kindern, sagt Asucena, sei sie völlig zufrieden. Die 22-Jährige weiß, dass ihre Bescheidenheit bei den Bekannten und Freunden auf Unverständnis stoßen wird. In Boane, etwa eine Stunde von der mosambikanischen Hauptstadt Maputo entfernt, ist es die Regel, dass Frauen durchschnittlich fünf Kinder bekommen. In einigen ländlichen Gebieten sind es oft sogar sieben. Doch Asucena weiß auch, wie viele Probleme eine Großfamilie mit sich bringt. Wie schwer es ist, jeden Tag Nahrung für die vielen hungrigen Münder zu finden. Erst recht später eine Ausbildungsstelle.

Was sie wohl auch ahnt: Sie kann dem Problem kaum entrinnen. In ihrem Heimatland Mosambik gibt es keinen Schutz vor Arbeitslosigkeit, keine funktionierende Krankenversicherung. Erst recht keine Rentenvorsorge. Möglichst viele Kinder großzuziehen ist meist die einzige Möglichkeit, um vorzusorgen, damit man selbst als Bedürftiger eines Tages Hilfe findet.

Viele Paare in Mosambik stehen vor dem gleichen Dilemma. Das Land hat ebenso wie zahlreiche andere afrikanische Staaten mit Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Darum versuchen viele Paare, rechtzeitig eine große Familie zu gründen, damit unter den widrigen Bedingungen wenigstens einige der Kinder das Erwachsenenalter erreichen. Doch sie wissen auch, dass sie meist mehr Jungen und Mädchen bekommen, als sie ernähren, kleiden und ausbilden können.

Rasantes Wachstum ab 50er Jahre

Auf keinem anderen Kontinent tritt das Problem der Überbevölkerung so deutlich zutage wie in Afrika. Eine Milliarde Menschen lebt dort heute — im Jahr 2050 werden es doppelt so viele sein. Und sie werden mit noch mehr Problemen zu kämpfen haben als bereits jetzt. Auf der ganzen Welt werden immer mehr Babys geboren, und niemand weiß genau, wohin diese Entwicklung führt. Mit dem siebenmilliardensten Menschen hat sich die Weltbevölkerung seit 1960 verdoppelt. Wo führt diese Entwicklung hin? Und wie viele Menschen sind zu viel für den Planeten?

Der aktuell erschienene Weltbevölkerungsbericht der Uno zeigt, dass die rapide Vermehrung der Menschheit ein relativ junges Phänomen ist. Zur Zeit Jesu lebten auf dem ganzen Globus lediglich 300 Millionen Menschen — weniger als heute auf der Fläche der USA. 1600 Jahre dauerte es, bis sich die Weltbevölkerung auf 600 Millionen verdoppelte. Erst in den 50er Jahren wuchs die Weltbevölkerung so rasant, dass bald Platz- und Ressourcenknappheit drohte. Den Grund für das Wachstum sehen Wissenschaftler unter anderem im Rückgang der Sterblichkeit aufgrund der modernen Medizin.

Der siebenmilliardste Mensch, so hieß es im Vorfeld, wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 19 Prozent in Indien, von zwölf Prozent in China geboren. Fünf Prozent beträgt die Chance, dass er in Nigeria mit wesentlich geringeren Überlebenschancen zur Welt kommt — und lediglich drei Prozent, dass das Kind in den USA und damit der wirtschaftlich stärksten Nation der Welt geboren wird. Symbolisch kommt er nun eben aus den Philippinen. Die Menschheit wächst — aber sie tut es mit unterschiedlichem Tempo auf den verschiedenen Kontinenten.

Das Problem: Die Verteilung der Ressourcen

Was ist eigentlich so schlimm daran, dass die Zahl der Menschen auf dem Planeten weiter zunimmt? Schließlich ist es nicht so, als würde der Globus bereits jetzt unter der Last der Menschheit ächzen. In Wirklichkeit ist das Problem ein anderes: die Verteilung der Ressourcen. "Die meisten Ressourcen werden dort verbraucht, wo die wenigsten Menschen wohnen. Die wichtigste Aufgabe ist, eine gerechte Verteilung zu erreichen", sagt Babatunde Osotimehin, Chef des UN-Bevölkerungsprogramms.

Ein Großteil der Öl- und Kohlevorkommen wird von westlichen Industriestaaten verbraucht. Nirgendwo wird so verschwenderisch mit Holz und Trinkwasser umgegangen wie in den Industrienationen. Wenn der Fortschritt in den Schwellenländern so weitergeht und 1,3 Milliarden Chinesen Anspruch auf ein eigenes Auto erheben, könnte dies unabsehbare Folgen für die Umwelt haben.

China und Indien stehen stellvertretend für zahlreiche Schwellenländer, die in den kommenden Jahrzehnten eine Entwicklung machen werden, die hierzulande bereits weit fortgeschritten ist. Als "demografischen Übergang" bezeichnen Wissenschaftler das Phänomen, das in Ländern mit technischem und wirtschaftlichem Fortschritt zu beobachten ist. Dabei sinkt aufgrund höheren Lebensstandards und besserer medizinischer Versorgung in einer Gesellschaft die Kindersterblichkeit, doch die Paare bekommen immer noch mehr Kinder, als zum Fortbestand der eigenen Familie notwendig wäre. Die Folge: Das Bevölkerungswachstum nimmt stark zu. Diese Entwicklung hat Deutschland in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg durchgemacht, als die geburtenstarken Jahrgänge der "Babyboom-Generation" entstanden.

Europaweite Gefahr der Überalterung

Der zweite Schritt dieser Entwicklung wird als "demografische Dividende" bezeichnet. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Erwachsenenalter kommen, stellen sie eine Masse von Arbeitskräften mit entsprechenden positiven Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Aber wenn diese Generation ins Rentenalter kommt, während die nachfolgenden Generationen zugleich weniger Nachwuchs zeugen, kommt es zum Knick in der Kurve: Die Bevölkerung schrumpft. In dieser Situation befindet sich Deutschland heute. In 50 Jahren, so heißt es im gerade vorgestellten Demografie-Bericht der Bundesregierung, werden in Deutschland nur noch 65 statt 80 Millionen Menschen leben. Jeder Dritte wird über 65 sein. Und es wird genauso viele 80-Jährige wie unter 20-Jährige geben. Deutschland altert wesentlich schneller als gedacht.

Die Gefahr der Überalterung droht nicht nur der Bundesrepublik. Im Jahr 2030 werden nach Berechnungen der Stiftung Weltbevölkerung europaweit 20,8 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen. Wie sollen umgerechnet zwei Erwerbstätige für einen Nicht-Erwerbstätigen aufkommen? Wie lässt sich der Schrumpf-Prozess einer Gesellschaft verhindern? Und was lässt sich gegen die gleichzeitige Explosion der Bevölkerungszahlen in anderen Erdteilen tun?

Die ersten Regierungen haben bereits Erfahrungen im Kampf gegen Überalterung gesammelt. Weil die Geburtenrate in Finnland seit den 70er Jahren extrem gesunken war, unterstützt die finnische Regierung Familien stärker. Man entschied sich, die kinderbezogenen Vergünstigungen für Frauen zu erhöhen. In Helsinki gehört dazu das Recht auf einen kostenlosen Krippenplatz für fünf Stunden täglich für alle Kinder. Auch die private Tagesbetreuung durch Tagesmütter wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Und die städtischen Krippen sind großzügig mit Personal ausgestattet.

Großteil wird in Großstädten leben

All diese Maßnahmen sollen verhindern, dass das Horrorszenario eintritt. 893 Millionen Menschen sind heute weltweit älter als 60 Jahre. 2050 werden es 2,4 Milliarden sein. Jedes Jahr wächst die Weltbevölkerung um 78 Millionen Menschen — das entspricht knapp der Einwohnerzahl Deutschlands. Bodenerosion und Grundwasserverbrauch schreiten schneller voran als die Regeneration.

Trinkwasser- und Lebensmittelknappheit auf vielen Teilen der Welt sind die Folge. Jeden Tag leiden heute eine Milliarde Menschen Hunger. In den kommenden Jahrzehnten werden sich Armut, Mangelernährung und Arbeitslosigkeit weiter ausbreiten. Um dieses Szenario abzuwenden, scheint es dem amerikanischen Worldwatch Institute zufolge nur einen Ausweg zu geben: "Eine weltweite Familienplanung und Geburtenkontrolle ist sicher der wichtigste Punkt auf der globalen Tagesordnung", sagt Instituts-Gründer Lester Brown.

Immerhin liegt der Höhepunkt der Wachstumskurve bereits hinter uns. Zwar steigt die Zahl der Weltbevölkerung noch immer, aber nicht mehr ganz so schnell wie in den vergangenen Jahrzehnten. In China ist bereits das Ende des Booms absehbar. Doch das Land, das über Jahrzehnte hinweg eine rigorose Ein-Kind-Politik verfolgt hat, sieht darum keinen Grund zum Aufatmen. Denn beinahe ebenso schnell wie der wirtschaftliche Fortschritt steigt die Zahl der Senioren, die versorgt und untergebracht werden wollen, während zu wenig Nachwuchs nachrückt. In China wird darum aktuell offen über eine Abschaffung der Ein-Kind-Politik diskutiert.

Eines steht jedenfalls fest: Ein Großteil der Weltbevölkerung wird künftig in Großstädten leben. Ist heute bereits jeder zweite Mensch auf der Welt ein Stadtbewohner, werden 2050 zwei von drei Menschen in einer Großstadt wohnen. Auf der Erde ist Platz genug für sieben Milliarden Menschen. Würde die gesamte Weltbevölkerung so dicht zusammenleben wie in New York, würde sie auf der Fläche des US-Bundesstaats Texas unterkommen können. Das zumindest dürfte sich bis 2050 ändern: Dann liegt die Zahl der Weltbevölkerung bei neun Milliarden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort