Interview mit dem Viersener Bürgermeister "Ich war geschockt"

Viersen · Bürgermeister Günter Thönnessen leitete in der Nacht zu Dienstag den Einsatz, der zur Sprengung einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg in der Viersener Innenstadt führte. Der Verwaltungschef berichtet über den Ablauf und seine persönlichen Gefühle.

 Montagabend landete Bürgermeister Günter Thönnessen um 18.25 Uhr auf dem Flughafen Düsseldorf und fuhr von dort zum Krisenstab in Viersen.

Montagabend landete Bürgermeister Günter Thönnessen um 18.25 Uhr auf dem Flughafen Düsseldorf und fuhr von dort zum Krisenstab in Viersen.

Foto: Busch

Wann haben Sie von dem Bombenfund in Viersen erfahren?

Thönnessen Von Freitag bis Montag war ich mit den Freunden von Kanew in unserer Partnerstadt in der Ukraine. Am Montagabend um 18.25 Uhr nach Landung auf dem Flughafen Düsseldorf habe ich mein Handy eingeschaltet und die Mailbox abgehört. Da erfuhr ich von den tragischen Ereignissen in meiner Heimatstadt. Ich war natürlich erst einmal geschockt.

Waren Sie beim Eintreffen in Viersen vollständig über die Lage informiert?

Thönnessen Eine erste Information zur Lage erfolgte während der Fahrt nach Viersen telefonisch durch meine Referentin, eine genaue Lageinformation erfolgte nach meinem Eintreffen in Viersen um 19.28 Uhr im Krisenstab in der Leitstelle der Feuerwehr auf der Gerberstraße durch den Einsatzleiter, Herrn Kersbaum.

Im Zweiten Weltkrieg sind viele Bomben über Viersen abgeworfen worden. War die Evakuierung am Montag die erste aufgrund eines Bombenfunds in der Nachkriegszeit?

Thönnessen Es war nicht die erste Evakuierung überhaupt, jedoch die erste in dieser Größenordnung. Vor allem aber war bedingt durch den tückischen Zünder höchste Eile geboten, was bei klassischen Entschärfungen vor Ort nicht der Fall ist.

Wie ist die Räumung nach dem Bombenfund in Viersen Ihrer Einschätzung nach gelaufen?

Thönnessen Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände — damit meine ich vor allem den enormen Zeitdruck und die Lage der Bombe in der dicht besiedelten Innenstadt — so geordnet und strukturiert, wie es möglich war.

Wie hat die Zusammenarbeit mit Polizei und Feuerwehr geklappt?

Thönnessen Die Zusammenarbeit lief hervorragend. Verbindungspersonen der Feuerwehr befanden sich in der Einsatzleitung der Polizei im Gebäude Lindenstraße und ebenso Verbindungsleute der Polizei im Krisenstab in der Feuerwache, Gerberstraße. Das habe ich persönlich wahrgenommen, von allen mitwirkenden Institutionen — auch der Polizei — waren Führungskräfte im Krisenstab.

Stimmt es, dass es technische Probleme im Krisenstab gegeben hat?

Thönnessen Nein, als ich eintraf, hatte ich sofort den Eindruck: Hier wird konzentriert und effektiv gearbeitet.

Wo hat es gehakt?

Thönnessen Bedingt durch die Evakuierung des Stadthauses konnte auf die dortigen technischen Einrichtungen für die Öffentlichkeitsarbeit nicht zurückgegriffen werden. Hierfür musste die Hilfe der Pressestelle des Kreises in Anspruch genommen werden.

Es gab den Vorwurf, dass sich manche Bürger nicht genügend informiert fühlten.

Thönnessen Dies mag stimmen. Die umfassende Information an die Bevölkerung war nicht in jedem Falle möglich. Aber in der Lage gab es ein Hauptziel: "Alle Menschen aus der Gefahrenzone bringen", dass dabei nicht jeder über alles informiert werden kann, ist zweitrangig und schlichtweg in einer solchen Lage auch nicht möglich.

Welche Funktion hat der Landrat während des Einsatzes gehabt?

Thönnessen Ein Vertreter des Landrats war Mitglied des Krisenstabs. Darüber hinaus ist der Landrat zuständig für die Polizei.

Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Thönnessen Wir werden natürlich alles genau aufarbeiten, das passiert jetzt schon. Wenn sich Schwachstellen zeigen sollten, müssen wir über Veränderungen reden. Unterm Strich ist mein Resümee aber positiv. Insofern sollte man auch vielleicht weniger über Fehler als über die immense Leistung aller Helfer und die Hilfsbereitschaft und Ruhe der Bevölkerung reden.

Hatten Sie selbst Angst?

Thönnessen Nicht um mich selbst, aber natürlich stellt man sich in solchen Situationen immer die Frage: "Ist alles richtig gemacht worden?" Das quält und ich konnte mir diese Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Die Entscheidung, die Sprengung für 23 Uhr anzusetzen mit der Möglichkeit, dass irgendwo jemand sich versteckt, übersehen worden ist oder über Schleichwege sich dem Bombenfundort nähert, hat natürlich alle Entscheider und natürlich auch mich persönlich stark belastet.

Sind Sie stolz auf die Bevölkerung Viersens?

Thönnessen Ja und ich bedanke mich ausdrücklich bei allen. Es gab keine Panik, keine Aggression — vielmehr Ruhe, Besonnenheit und Hilfsbereitschaft. Ich glaube, die Viersener können stolz auf sich sein. Wie gut eine Stadt funktioniert, wie der Zusammenhalt unter den Menschen ist, das sieht man nicht in leichten, sondern in schwierigen Zeiten. Ich bin in diesem Punkt sehr, sehr dankbar.

Joachim Niessen, Birgitta Ronge, Ludwig Jovanovic führten das Interview mit dem Bürgermeister.

(RP/ila/csi)
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