Solingen Schon während der Bahnfahrt mit Angriff gerechnet

Solingen · Prozess um Messerstich im Ohligser Bahnhofstunnel gestern fortgesetzt. Opfer musste erneut in den Zeugenstand.

Bei manchen Zeugenbefragungen vor Gericht kann der Eindruck entstehen, nicht der Angeklagte wäre mutmaßlicher Täter, sondern der Zeuge. Am 4. Verhandlungstag um einen Messerstich, der einen 20-Jährigen am 29. Oktober 2014 schwer verletzte, musste erneut das Opfer aussagen. Dabei machte er weitgehend von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, was Angaben über die Mengen Rauschgift angeht, die er dem Angeklagten verkauft hatte. Weil er sich damit selbst belasten müsste, steht ihm dieses Recht zu. Am vorausgegangenen Verhandlungstag hatte der Zeuge, der als Opfer auch Nebenkläger ist, die Mengen Cannabis, die er dem 50-jährigen Angeklagten verkaufte, sehr klein gehalten. Seine Aussage sei unter Stress zustande gekommen und "arrogant und dumm gewesen", so der 20-Jährige gestern. Dennoch, es koste ihn "viel Beherrschung", auf die Fragen der Verteidigerin "sachlich zu antworten", schließlich sei er doch derjenige, der ein Messer in den Bauch bekommen habe.

Um die Hintergründe dieser Tat ging es auch gestern. Schon in der Regionalbahn, in dem Täter und Opfer am Tattag von Leverkusen nach Solingen fuhren, habe er Angst um sein Leben gehabt und per SMS einen Freund gebeten, ihn am Bahnhof abzuholen, sagte der Zeuge gestern im Prozess vor dem Landgericht, wo sich der 50-Jährige wegen versuchten Totschlags verantworten muss. Er habe gewusst, dass der 50-Jährige ein Messer bei sich trug. Der später erfolgte Angriff in dem Tunnel in Ohligs habe nur deshalb nicht noch schwerere Folgen gehabt, weil er sich weggedreht habe, so der Nebenkläger.

Während sich der 20-Jährige von seinem wesentlich älteren Freund verfolgt fühlte, sagt dieser aus, er habe sich hinsichtlich der Rauschgiftgeschäfte betrogen und abgewiesen gefühlt. Auch vor dem Hintergrund, dass er 2002 wegen Vergewaltigung eines Mannes zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, bestreitet er sexuelles Interesse an seinem späteren Opfer. Die Freundschaft sei vielmehr wie ein Vater-Sohn-Verhältnis gewesen, an dessen Ende er sich mehr und mehr ausgenutzt gefühlt habe.

Um weiteres Licht ins Dunkel dieses Verfahrens zu bringen, sind weitere Prozesstermine bis Ende Oktober angesetzt. Nächster Prozesstag ist am 3. Juli.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort