Neuss Klamme Zeit des "Noch nicht"

Neuss · "Die kleine Compagnie", das junge Ensemble der Alten Post, zeigte die neue Produktion "Frühlings Erwachen" nach dem Stück von Frank Wedekind und ergänzt um Neil LaBute's "Bash – Stücke der letzten Tage".

Ein leeres Plastikuniversum, mit weißen Stühlen und bunten Eimern aus jenem Material, an dem jeder Wassertropfen abperlt: Ein Provisorium und Wartesaal ist die Welt, in die Jale Maria Gönenc in ihrer Inszenierung einer Collage nach Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" ihre Figuren stellt. Zwischen Sehnsucht und Leistungsdruck, Fremdbestimmung und Ungewissheit erahnen die Jugendlichen hier einen ersten Hauch des großen Abenteuers Leben, wollen ausbrechen aus der engen Kinderwelt, hineintauchen ins Leben und wissen doch nicht wie. So stehen sie immer wieder ratlos am Brunnen, tauchen Hand, Kopf oder Füße vorsichtig, zornig, beiläufig, entschlossen oder ängstlich ins kühle Nass und weichen doch zumeist wieder zurück ins Trockene.

Mit starken, klaren Symbolen arbeitet Gönenc in ihrer Inszenierung frei nach Wedekind, die sie mit Schülern der Alten Post am Samstagabend zum ersten Mal zeigte: Wasser ist darin das allgegenwärtige Symbol des fremden, geahnten und ersehnten erwachsenen Lebens voller Freiheit und Selbstbestimmung. Wasser ist es, wonach die zarten Pflänzchen dürsten, worin sie ertrinken, und was doch in ihrer Plastikwelt nirgendwo eindringen, einsickern kann, allenfalls etwas ist, worauf man ausrutscht.

Jeder von ihnen hat eigene Motive für den Aufbruch ins kalte, klare Element des Lebens: Tiefseetaucher in den unbekannten Abgründen des Lebens will Moritz (Alexi Dimitriou) werden, der auf diese Weise den unerfüllbaren Anforderungen seines Vaters (Stephan Koch/ Justus Kötting) zu entkommen sucht. Bevormundung und ewig-vernünftige Ratschläge ihrer Mütter (Patricia Machado Soares) hallen Wendla (Tamina Kuhnert und Sara Rodrigues (Peixoto) und Melchior (Christian Dücker) so unentrinnbar in den Ohren, dass sie gemeinsam abtauchen ins große Abenteuer mit all seinen Konsequenzen. Gute Gründe hat vor allem die kleine Martha (Laura Loetzner), vor ihren gewalttätigen Eltern ins Großwerden sich zu sehnen. Auch Ilse (Alison Surey), Ernst (Timo Kymanis) und Hans (Guido Kim) erleben ihr Frühlings Erwachen als Sehnsucht nach einem Aufbruch ins Unbekannte.

Das winkt wie in der Vorlage von Wedekind als dunkle, vermummte Gestalt, ein wenig beängstigend, undurchschaubar und doch mit der unmittelbaren Aufforderungen, ihm zu folgen. Voller starker Bilder und Emotionen gelingt Gönenc so mit ihrer Inszenierung ein eindringliches Szenario jener klammen Zeit des "Noch Nicht" vor dem Sprung ins Leben.

(NGZ)
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