Interview mit Hans-Hermann Tirre Das war das ruhigste Derby seit Jahren

Mönchengladbach · Nach dem Köln-Spiel spricht der Gladbacher Polizeipräsident über den Einsatz der Polizisten, das neue Polizeipräsidium und die Salafistenszene in der Stadt. Im August geht er in den Ruhestand und will dann seinen Namen in Tirré ändern lassen.

"Gladbach ist keine Salafisten-Hochburg": Hans-Hermann Tirre im Gespräch in der Redaktion.

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Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Herr Tirre, wie hätte man den Platzsturm beim Derby verhindern können?

Hans-Hermann Tirre Der Sturm auf das Spielfeld nach dem Schlusspfiff hat alle überrascht. Das hat es im Borussiapark noch nie gegeben. Sicherlich wird man diese Situation zum Anlass nehmen, in den nächsten Sicherheitsbesprechungen Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten. Das überlasse ich aber unseren Fachleuten, die mit Borussia seit Jahren nicht nur auf diesem Gebiet hervorragend zusammenarbeiten.

Wie bewerten Sie denn den Derby-Einsatz der Polizei insgesamt?

Tirre Das Einsatzkonzept der konsequenten Fantrennung hat voll gegriffen. Wenn man von den Vorfällen im Stadion absieht, war das aus polizeilicher Sicht der ruhigste Einsatzverlauf bei einem Derby seit Jahren.

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Foto: dpa, mjh nic

Gab es Verletzte seitens der Polizei?

Tirre Ein Polizeibeamter einer Einsatzhundertschaft ist aus dem Kölner Block mit Reizgas besprüht worden. Dadurch erlitt er leichte Verletzungen.

Kommen wir mal zu einem schöneren Thema. Das neue Polizeipräsidium, um das Sie so lange gekämpft haben, ist bald fertig. Allerdings gehen Sie im August in den Ruhestand und ziehen deshalb nicht mehr mit ein. Macht Sie das traurig?

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Foto: Dirk Päffgen

Tirre Ich wäre natürlich gerne dort eingezogen. Andererseits kann nicht jeder in einer so kurzen Amtszeit wie meiner auch noch ein neues Gebäude vorweisen, in das er dann auch noch selbst einziehen kann (lacht). Deswegen nehme ich die Sache sportlich.

Im Oktober 2008, als Sie ihr Amt antraten, waren Sie alles andere als begeistert davon, in das alte Gemäuer einziehen zu müssen.

Tirre Ja, das konnte ich nur schwer akzeptieren. Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mich für den Neubau einzusetzen. Ich habe mich damals dem etwas naiven Anspruch hingegeben, ich könne da schnell etwas anschieben. Aber es war schwer, jemanden zu greifen. Deshalb habe ich irgendwann beschlossen, das Feuer zumindest nicht ausgehen zu lassen.

Einmal war es aber ganz knapp.

Tirre Ja, es stand in der Tat spitz auf Knopf. Ich wurde zu einer Besprechung ins Ministerium eingeladen, bei der mir mitgeteilt werden sollte, dass es nicht klappt. Dann habe ich aber gemeinsam mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb eine neue Strategie entwickelt, in dem wir den Bau in zwei Bauabschnitte geteilt haben. Darauf hat sich das Ministerium eingelassen. Der Erfolg kam schließlich, weil ich immer unbequem geblieben bin.

Was bedeutet der Neubau denn nun für die Polizei in Mönchengladbach?

Tirre Man muss es deutlich sagen: Allein der Neubau sichert das Überleben der Kreispolizeibehörde in Gladbach.

Warum?

Tirre Der Innenminister hat eine Expertenkommission eingesetzt, die Zukunftskonzepte erarbeiten soll. Dabei wird es wohl auf Großstrukturen hinauslaufen. Gladbach ist mit dem neuen Gebäude gut positioniert. Man wird das Ganze wohl kaum von Kleve aus leiten, wenn hier ein neuer Bau zur Verfügung steht.

Gab es für Sie noch andere Herzensaufgaben während Ihrer Amtszeit?

Tirre Erst einmal will ich sagen, dass die letzten siebeneinhalb Jahre hier die erfüllungsreichsten Berufsjahre meines Lebens waren. Ich musste mich aber zunächst von meiner Auffassung verabschieden, was die Polizei ist. Denn die Polizei von innen ist etwas ganz anderes. Zum Glück hatte ich gute Mitarbeiter, die mir bei dem Eingewöhnungsprozess geholfen haben.

Sie wollten ja mal den Krankenstand verringern?

Tirre Ja, damit bin ich auch sehr zufrieden. Ich denke, manche Probleme lassen sich besser von jemandem lösen, der nicht aus der Polizei kommt. Doch auch ich hatte zunächst Probleme, den Kollegen die Lust am Sport zu vermitteln. Ich bin eben der Meinung, dass jeder Kollege auf der Straße in der Lage sein sollte, einem Handtaschenräuber zumindest 80 Meter hinterherzulaufen.

Und wie schlägt sich das Sportprogramm in den Krankenzahlen nieder?

Tirre Der Krankenstand ist tatsächlich um drei bis vier Prozent gesunken. Ich glaube, dass man die Kollegen motiviert, indem man die Führungskräfte motiviert. Sie müssen den Kollegen erklären, dass bestimmte Ziele erreicht werden müssen, weil es nun mal eine strategische Ausrichtung gibt. Wenn die Kollegen das verinnerlicht haben, ist ein gequetschter Daumen kein Grund mehr, sich einen Tag frei zu nehmen.

Wie hoch ist eigentlich der Anteil der Frauen bei der Polizei?

Tirre In der Hundertschaft liegt er bei knapp 30 Prozent, in der gesamten Polizei rund 21 Prozent. Wir haben in den vergangenen Jahren Strukturen geschaffen, um junge Mütter noch stärker zur Rückkehr in den Beruf zu bewegen.

Gladbach ist in den vergangenen Jahren auch für islamistische Umtriebe bekannt gewesen. Sind wir so etwas wie eine Islamisten-Hochburg?

Tirre Ich würde sagen: nein. Wir haben aber eine besondere Beziehung dazu, unsere Erfahrungen damit sind älter als die vieler anderer Städte. Man muss ja sehen: vor drei bis vier Jahren kannte man die Salafisten nur durch ihre orthodoxe Auslegung des Islams. Sven Lau kannten viele noch durch die Feuerwehr, bei der er gearbeitet hat. Zu diesem Zeitpunkt konnte man mit denen noch reden. Ich weiß noch, dass Muhammed Ciftci und Sven Lau mal bei uns im Foyer standen. "Wir gehen gerade hoch zum Staatsschutz, wir wollten uns da mal melden", haben sie mir gesagt.

Die Zeiten sind jetzt vorbei.

Tirre Ja, es kamen dann Einflüsse von außen in die Salafistenszene. Doch Gladbach hat es geschafft, diese Leute liebevoll aus der Stadt zu drücken. Es war bundesweit die einzige Niederlage für die Salafisten. Deswegen sind wir keine Hochburg geworden. Trotzdem sind natürlich nicht alle Salafisten weg.

Vor kurzem gingen Bilder der Leiche des getöteten 17-Jährigen über WhatsApp. Wie viel zusätzliche Arbeit machen Ihnen die sozialen Medien?

Tirre Wir müssen da mit der Zeit gehen. Wir haben junge Kollegen, die sich darum kümmern. Vielleicht sind die Kids auf dem Schulhof ihnen aber schon überlegen. Ich denke, bei denen, die die Fotos versendet haben, ist das Bewusstsein, dass das eine Straftat darstellt, einfach nicht vorhanden. Das ist wirklich widerlich.

Wir haben von Polizisten gehört, die eine dreistellige Überstundenzahl angehäuft haben. Haben Sie genug Personal für alle Aufgaben, die sie erfüllen müssen?

Tirre Es gibt die Meinung, dass Polizisten nicht unbedingt gerufen werden müssen, wenn jemand mit seinem Auto auf einem Parkplatz ein anderes Auto anrempelt. Im Prinzip ist das eine Sache der Versicherung. Meiner Meinung nach müssen wir nicht schneller laufen, sondern kürzere Wege finden. Darüber machen wir uns bereits seit 2010 Gedanken.

In letzter Zeit gab es viele SEK-Einsätze in der Stadt. Muss man sich Sorgen machen?

Tirre Nein. Mönchengladbach ist die sicherste Stadt in der Größenordnung von 300 000 Einwohnern. Wir erleben sogar einen Rückgang der Kriminalität.

Ab August sind Sie im Ruhestand. Haben Sie schon einen Masterplan für diese Zeit?

Tirre Also, erst einmal werde ich bis August noch mit vollen Segeln segeln. Aber ich bin mir im Klaren darüber, dass danach eine Menge mit mir passieren wird. Zum Beispiel werde ich meinen Namen ändern lassen. Von Tirre in Tirré. Meine Frau ist Französin und unzufrieden mit ihrem französisch-deutschen Doppelnamen. Deshalb habe ich ihr versprochen, mich umbenennen zu lassen.

Wird man Herrn Tirré denn noch häufiger in Gladbach sehen?

Tirre Bei den Nobelpreisträgern sicher.

Und bei Borussia?

Tirre Eher nicht. Ich bin zwar interessiert daran, habe aber keine Lust, mich in den Stau am Stadion zu stellen. Deshalb höre ich die Spiele lieber am Radio.

RALF JÜNGERMANN, GABI PETERS UND LAURA SCHAMEITAT FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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