Lokalsport Kaum Gegner und Haarspray im Arztkoffer

Frauenfussball · Nach der WM 2011 war der Frauen-Fußball im Aufschwung. Doch die Euphorie an der Basis ist verflogen. Ein Zustandsbericht aus der Kreisliga.

Sonntagmorgen, 9.30 Uhr. Um halb neun hat sich meine Mitspielerin Sarah, die in Duisburg wohnt, aus dem Bett gequält und ist 50 Kilometer zum Treffpunkt gefahren. Jetzt stehen wir da, alle in Grün, und warten. Immer wieder wandert der Blick rüber zu dem kläglichen Häufchen in Blau. Um Viertel nach zehn kommt der Trainer der Blauen zu uns rüber und sagt das Spiel ab. Mehr als sieben Spielerinnen wird er heute nicht mehr zusammen bekommen.

In unserer Liga spielen insgesamt sechs Mannschaften - eine davon ohne Wertung. Die Damen in Blau, die nicht gegen uns antreten konnten, haben ihre Mannschaft inzwischen vollständig zurückgezogen. Wir spielen also mit nur vier weiteren Teams die Meisterschaft aus. Damit wir trotzdem auf eine vertretbare Anzahl von Spielen kommen, spielen wir gegen jeden Gegner nicht nur zwei- sondern dreimal pro Saison.

Seit 2003 spiele ich Fußball im Verein, angefangen habe ich mit 14 Jahren. Der SC Hardt ist mein dritter Verein. Eine der Mannschaften, in der ich vorher gespielt habe, gibt es heute nicht mehr. In meinen zwölf Jahren in der Frauen-Kreisliga habe ich schon viel erlebt. Trotzdem kann ich sagen: So wenige Mannschaften wie momentan hatten wir in der Gruppe noch nie.

Das liegt zwar zum einen daran, dass wir nach vielen Jahren, in denen wir mit Krefelder, Viersener oder Düsseldorfer Mannschaften zusammengelegt wurden, aus unverständlichen Gründen nun plötzlich eine reine Gladbacher Liga bilden. Aber auch daran, dass die Gladbacher Vereine mit Frauenmannschaften schon bessere Zeiten gesehen haben. So stellt zum Beispiel Giesenkirchen keine Frauenmannschaft mehr, Wickrathhahn hat sein Team zurückgezogen und auch Fortuna ist in der laufenden Saison nicht mehr dabei.

Den kurzen Aufschwung der Randsportart Frauenfußball, von dem nach der Heim-WM 2011 alle sprachen, habe ich selbst miterlebt. Plötzlich kamen immer mehr Mädels zum Training, wollten mal gucken, ob Fußball etwas für sie ist. Die meisten waren spätestens in der Wintervorbereitung, wenn der Platz verschneit und gesperrt ist und stattdessen bei eisigen null Grad im Wald gejoggt wird, wieder raus.

Dabei sind wir nicht aus Zucker. Im Gegenteil. Als unsere Torhüterin vor kurzem einen Ball mit voller Wucht ins Gesicht bekam, hätte sie mit bluttriefender Nase einfach weitergespielt - wenn der Schiedsrichter es erlaubt hätte. Und das Lauftraining im verschneiten Wald ist bei den Jungs genau so unbeliebt. Trotzdem sind Männer ihrem Verein generell irgendwie treuer. Viele der Jungs spielen schon seit Bambini-Zeiten in Hardt. Bei Mädels gibt es häufiger Zickereien. Wenn es Probleme gibt, wechseln viele schnell den Verein.

Außerdem kommt bei uns natürlich auch noch die Biologie dazwischen: Bei einer Altersspanne von 17 bis 35 Jahren in meiner Mannschaft ist eben immer mal wieder eine schwanger. Und wenn die Kinder dann da sind, fehlt oft die Zeit für den Mannschaftssport. Denn neben dem Training montags und donnerstags und dem Spiel am Sonntag, gibt es ja noch Mannschaftsabende, Mannschaftsfahrten, Geburtstage und Hochzeiten von Mitspielerinnen und andere Verpflichtungen.

Wir haben eine Whatsapp-Gruppe eingerichtet, um uns zu organisieren, mein Handy steht seitdem eigentlich nie still. Eine fragt, was sie in die Trinkflaschen für das Spiel am Sonntag füllen soll, die Nächste will wissen, ob wir lieber in Lang- oder in Kurzarmtrikots spielen wollen, die Übernächste fragt, ob sie mal neues Haarspray für unseren Notfallkoffer kaufen soll. Damit wären wir auch gleich beim ersten Klischee: Ja, wir haben Haarspray im Arztkoffer. Nein, nicht um uns in der Halbzeit schön zu machen, sondern einfach, weil es tierisch nervt, wenn einem beim Spiel die Haare ins Gesicht fallen. Wer das nicht glaubt, kann ja mal die italienische Herren-Nationalmannschaft fragen. Männer finden dieses Detail aus dem Frauenfußballalltag trotzdem immer wieder tierisch witzig.

Trotz der Machosprüche und der Vorurteile, mit denen wir uns rumschlagen müssen, ist die Anerkennung der Frauen innerhalb der Vereine in den vergangenen Jahren gewachsen. Der Vorstand lässt sich oft bei unseren Spielen blicken, bei den Weihnachtsfeiern werden wir lobend erwähnt und auch bekannte Gladbacher Restaurants sind bereit, für ihre Werbung auf unseren Trikots zu zahlen.

Das war zu meinen Anfangszeiten noch ganz anders: In meinem damaligen Verein mussten wir die Trikots der Alten Herren auftragen. Die gingen uns bis zu den Knien, hatten Löcher und rochen auch nach der zehnten Wäsche noch nach altem Mann. Dabei glaube ich, dass Vereine von einer Damenmannschaft nur profitieren können. Denn, wenn es etwas zu organisieren gibt, sind wir immer zur Stelle.

Während meines Praktikums in Washington DC kam ich eines Tages an einer Gruppe Jungs vorbei, die auf dem Rasen vor dem Kapitol Fußball spielten. Ich blieb stehen und wurde prompt gefragt, ob ich mitspielen will. Das ist in Deutschland leider auch weiterhin unvorstellbar Warum eigentlich?

(RP)
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