Krefeld Baby Silvia "in Gottes Hand aufgenommen"

Krefeld · Tröstende und mahnende Worte hat Pfarrer Michael Hack am Donnerstag bei der Trauerfeier für das Baby Silvia gesprochen. Ihren letzten Weg ist Silvia nicht alleine gegangen. Die Feier sei wichtig, betonte der Pfarrer – "damit ein Mensch nicht einfach verschwindet".

 Michael Hack (3. v. l.) am Grab, während der kleine Kindersarg in die Erde gelassen wird. Links steht Polizeipräsident Rainer Furth, daneben Krefelder Trauergäste.

Michael Hack (3. v. l.) am Grab, während der kleine Kindersarg in die Erde gelassen wird. Links steht Polizeipräsident Rainer Furth, daneben Krefelder Trauergäste.

Foto: Thomas Lammertz

Tröstende und mahnende Worte hat Pfarrer Michael Hack am Donnerstag bei der Trauerfeier für das Baby Silvia gesprochen. Ihren letzten Weg ist Silvia nicht alleine gegangen. Die Feier sei wichtig, betonte der Pfarrer — "damit ein Mensch nicht einfach verschwindet".

 Die Frau, die Silvias Leichnam gefunden hat, wirft einen Abschiedsbrief an Silvia in das Grab.

Die Frau, die Silvias Leichnam gefunden hat, wirft einen Abschiedsbrief an Silvia in das Grab.

Foto: Samla

130 Krefelder haben sie begleitet, haben Blumen ins Grab gelegt, Teddys vor ihrem Sarg abgestellt, für sie das "Vater unser" gebetet. "Du bist beschützt, was auch immer Du erlebst", hat Pfarrer Michael Hack während der Trauerfeier gesagt. Bei manchem Gast sind da die Tränen geflossen. Tränen der Trauer, Tränen der Wut: In dem nur wenige Stunden langen Leben von Silvia war da niemand, der das Baby hätte beschützen können.

 Teddys, Engelfiguren, Schafe, Blumen sind am Grab abgelegt.

Teddys, Engelfiguren, Schafe, Blumen sind am Grab abgelegt.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Mutter muss in großer Not gewesen sein

Krefeld: Baby Silvia "in Gottes Hand aufgenommen"
Foto: Polizei

Vor drei Wochen war der Säugling grausam getötet worden. Die Krefelder Polizei hält es für wahrscheinlich, dass das kleine Mädchen in einem Badezimmer von seiner Mutter wenige Stunden nach der Geburt umgebracht worden ist: Die Mutter muss in großer Not gewesen sein in diesen Stunden. Sie wird vielleicht mit sich gerungen haben. Dann hat sie den Pfropfen in den Mund gesteckt, abgewartet. Tod durch Ersticken, gefesselt mit einem Knebel aus Feuchttüchern, bis kein Schreien mehr zu hören war.

Krefeld: Baby Silvia "in Gottes Hand aufgenommen"
Foto: Maps4news.com/ HERE.com

Die Mutter wird das Baby in eine Plastiktüte gepackt haben, mit der Plazenta und einem Handtuch. Im Südpark, einem Waldstück im Krefelder Südwesten, hat sie die Mülltüte abgelegt. Dort lag Silvias Leichnam wohl zwei Wochen, bis er am vergangenen Mittwoch gefunden wurde.

Die Trauergäste kannten das Kind nicht; sie wollten ein Zeichen setzen

Die 130 Krefelder, die gestern Morgen in der Trauerhalle des Hauptfriedhofs stehen und sitzen, haben Silvia nicht gekannt: Es sind Menschen, denen das Schicksal so nahe geht, dass sie bei ihr sein wollen in dieser Stunde. Manche der Trauergäste, so weiß Pfarrer Hack aus Gesprächen, haben selbst einmal ein Kind verloren. Viele ältere Menschen sind gekommen, aber auch junge Menschen, eine Mutter gar mit Kleinkind.

Wenige Minuten vor Beginn der Trauerfeier sind die Blicke auf die Teelichter gerichtet, die auf einem Stofftuch liegen. Das Tuch sieht aus wie eine Sandbank. Blumen sind aufgestellt, daneben ein schwarz-weißer Stoffpinguin und ein großer gelber Stoffteddy. In der Mitte steht — auf einer rollenden Bahre — der kleine weiße Kindersarg.

Würdige Trauerfeier, "damit ein Mensch nicht einfach verschwindet"

"Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Damit ein Mensch nicht einfach verschwindet, gehen wir diesen Weg gemeinsam", sagt der Pfarrer Michael Hack zu Beginn. Die Cellistin Julia Polziehn, die auf eigene Initiative hin die Trauerfeier musikalisch begleitet, spielt dann das Präludium II von Johann Sebastian Bach. Ergreifende Stille.

Tränendrüse drücken sei nicht sein Ding, wird Hack später unserer Zeitung sagen. Deshalb geht er in seiner Ansprache gleich zu Beginn auf das Schicksal der Mutter ein. "Wir wissen nicht, was mit der Mutter ist. Vorstellen können wir uns, dass ein Mensch in Not ist, traumatisiert." Hack spricht auch die Kommentare im Internet an. "Es gab 150.000 Meldungen in Facebook, viele mit Anteilnahme, andere mit bösartigen Drohungen. Es steht uns aber nicht zu, über die Mutter zu richten", sagt der Pfarrer, auf dessen Initiative hin die Trauerfeier abgehalten wurde.

Er spricht auch über die Frage, die jeden bei dieser Trauerfeier umtreibt: "Gott hat das nicht zugelassen. Gott will, dass wir Menschen leben." Die Frage, wo Gott war, ist ihm schon oft in seiner Tätigkeit als Polizeiseelsorger gestellt worden. Hack antwortet mit einer Hoffnung: "Möge der Himmel uns gnädig sein, wir brauchen einen gnädigen Himmel." Dann spielt Julia Polziehn das Präludium I von Bach, eine tieftraurige Melodie.

Beisetzung inmitten anderer Gräber

Beim Gang von der Trauerhalle zum Grab über den schönen Krefelder Hauptfriedhof an diesem sonnigen Tag schweigen die Trauergäste. Es ist ein stiller Gang, Hunderte von Metern durch den Park mit hohen Bäumen. Unter einem dieser Bäume wird Silvia beerdigt, wie sie im Wald allein unter Bäumen gelegen hat. Sie hat aber keinen Platz auf dem anonymen Gräberfeld. Zwischen normalen anderen Gräbern wird sie beigesetzt.

An zwei kleinen Schnüren wird der kleine Sarg nach unten gelassen. Pfarrer Michael Hack spricht Worte aus dem Alten Testament: "Alles hat seine Zeit, jedes Tun unter dem Himmel hat seine Stunde." (Buch Kohelet, Kapitel 3). Dann sagt er: "Wir verlassen uns darauf, dass Silvia in Gottes Hand aufgenommen ist." Er erlaubt den Trauergästen schließlich, Abschied zu nehmen. Viele werfen Tannenzweige ins Grab, manche auch Erde.

Die Frau, die Silvia fand, legt einen Brief ins Grab

Auch jene Frau ist zur Trauerfeier gekommen, die Silvia am Mittwoch vergangener Woche im Wald gefunden hat. Einen Abschiedsbrief hat sie für Silvia geschrieben. Erst hatte sie ihn bei der Trauerfeier vorlesen wollen, sich nach Rücksprache mit Pfarrer Hack entschlossen, ihn ins Grab zu legen. Hack stützt sie, während sie trauernd am Grab steht.

Nach der Beerdigung bleiben viele auf dem Friedhof stehen, sprechen über ihre Gefühle. Die Polizisten aus der Mordkommission mit Chef Gerhard Hoppmann stehen zusammen: "Für uns ist es wichtig, dass wir neben unserem Job auch immer an die menschliche Tragik erinnern", sagt Hoppmann. Er handhabt es bei fast jedem Mordfall so, dass er auch die Trauerfeier besucht.

Grab wird nicht dauerhaft bestehen bleiben können

Eines ist spürbar: Bei all der großen Trauer freut sich doch ein jeder, dass so viele für Silvia gekommen sind. Auch Pfarrer Hack ist dankbar: "Vor acht Jahren habe ich schon einmal einen getöteten Säugling beerdigt. Damals waren nicht so viele Menschen da wie heute. Der traurige Fall Silvia hat viele Menschen emotionalisiert", erzählt er nach der Beerdigung im Gespräch mit unserer Zeitung. Er berichtet da auch von Mitarbeitern eines Krefelder Supermarkts, die sich bei ihm gemeldet haben, weil sie zusammen für einen Grabstein für Silvia gesammelt haben. Hack musste davon abraten — weil das Grab nicht auf Dauer dort bleiben kann.

Silvias Grab werde die Friedhofsverwaltung irgendwann entfernen, weil es niemanden gebe, der sich dauerhaft um die Pflege kümmern könne, sagt Hack. Dies werde so kommen, aber eines sollten alle in Erinnerung halten: "Es war wichtig, dass wir sie dort gemeinsam zu Grabe getragen haben."

(RP)
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