Klage gegen das Land NRW Gericht gibt ehemaligem Förderschüler Recht

Köln · Nenad Mihailovic war elf Jahre lang auf Förderschulen, weil er als geistig behindert galt. Das ist der 21-Jährige aber nicht. Er fordert Schadenersatz vom Land NRW. Das Kölner Landgericht hat nun eine erste Entscheidung getroffen.

 Nenad Mihailovic im Kölner Landgericht (Archivbild)

Nenad Mihailovic im Kölner Landgericht (Archivbild)

Foto: dpa/Federico Gambarini

Vor mehr als einem Jahr startete der Prozess des ehemaligen Förderschülers Nenad Mihailovic gegen das Land Nordrhein-Westfalen. Nun gibt es eine erste Gerichtsentscheidung. Nach Auffassung einer Zivilkammer des Kölner Landgerichts muss das Land NRW dafür haften, dass der heute 21-Jährige jahrelang auf Förderschulen war, obwohl er normal intelligent ist.

Über die Höhe der Entschädigung ist aber noch keine Entscheidung gefallen, wie das Gericht mitteilt. Die Kammer will noch klären, welche konkreten psychischen Folgen Mihailovic dadurch erlitten hat, dass er elf Jahre auf Förderschulen verbracht hat. Erst in Bayern, dann in Köln.

Der Kölner hatte das Land wegen Amtspflichtverletzung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 52.000 Euro verklagt. „Es war, als hätte ich unschuldig im Gefängnis gesessen“, sagte Mihailovic vor Beginn des Prozesses über seine Schulzeit. Sein IQ liegt bei 94 und damit im guten Bevölkerungsdurchschnitt. Mit 14 hatte er den Direktor seiner Förderschule gebeten, ihn auf eine andere Schule zu schicken, er wolle „einen richtigen Abschluss haben“. Doch nichts passierte. Er schaffte es erst kurz vor seinem 18. Geburtstag mit Hilfe zweier Kölner Vereine, auf ein Berufskolleg zu wechseln, wo er innerhalb von zwei Jahren einen Hauptschulabschluss gemacht hat. Mit der Note 1,6 als Klassenbester.

Das Gericht ist der Ansicht, das Land habe seine Pflichten dem Jungen gegenüber vor allem dadurch verletzt, dass dessen Förderbedarf nicht jährlich überprüft worden war. „Wäre dies geschehen, hätte man erkennen können und müssen, dass der Förderschwerpunkt ‚Geistige Entwicklung‘ falsch war“, sagt eine Sprecherin des Landgerichts. Mihailovic hätte dann früher einen Schulabschluss erreichen können. Er hätte mit 16 Jahren eine Ausbildung starten und Geld verdienen können, andere haben in seinem Alter längst feste Jobs - er jobbt in einem Supermarkt. Seinen Verdienstausfallschaden beziffert Mihailovic mit seiner Anwältin Anneliese Quack auf rund 40.000 Euro. Dazu kommt Schmerzensgeld. Beide sind erleichtert nach dem Urteil am Dienstag. „Die Gerechtigkeit hat gesiegt“, sagt Quack. Es ist die erste Klage dieser Art in Deutschland. Anfangs bestand kaum Aussicht auf Erfolg, wie die Anwältin sagt.

Das Land NRW hat nun einen Monat Zeit, gegen diese Entscheidung Berufung beim Oberlandesgericht Köln einzulegen. Erst wenn es ein rechtskräftiges Urteil gibt, wird geklärt, wie viel Geld Mihailovic zusteht.

Das NRW-Schulministerium hatte vor Prozessbeginn in einer Stellungnahme Fehler eingeräumt. Das kognitive Potenzial des Schülers sei vermutlich nicht richtig erkannt worden, hieß es. „Für seinen weiteren Lebensweg wünsche man ihm viel Erfolg“, sagte Anwältin Quack damals. „Die haben einem Kind die komplette Kindheit und Jugend versaut und keiner entschuldigt sich.“

Am Dienstagnachmittag reagierte das Ministerium auf die Entscheidung des Landgerichts:„Wir werden die Urteilsbegründung nun sorgfältig auswerten“, heißt es in einer Mitteilung. „Grundsätzlich gilt in Nordrhein-Westfalen, dass die Ausbildungsordnung für die sonderpädagogische Förderung vorsieht, dass der Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in allen Förderschwerpunkten jährlich zu überprüfen ist.“ Seit 2014 räume das Schulgesetz den Eltern einen Rechtsanspruch ein, sich für eine Förderschule oder eine allgemeine Schule zu entscheiden. „Diese Regelungen sollen dazu führen, dass ein solcher Fall sich nicht wiederholt.“

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