Kranenburg/Straelen "Die Hauptschule ist unschlagbar"

Kranenburg/Straelen · Mit ihrem kürzlich veröffentlichten Schulkonzept erklärte die NRW-CDU die Hauptschule zum Auslaufmodell. Schulleiter kritisieren, dass davon auch erfolgreiche Einrichtungen betroffen wären, die sich auf das konzentrieren, was für ihre Schüler am wichtigsten ist: einen Ausbildungsplatz zu finden.

 Johannes Schriefers leitet die Sankt-Anno-Hauptschule in Straelen und Wachtendonk. Seine Schüler beginnen bereits in der fünften Klasse, die Betriebe vor Ort kennenzulernen - und damit mögliche Ausbilder.

Johannes Schriefers leitet die Sankt-Anno-Hauptschule in Straelen und Wachtendonk. Seine Schüler beginnen bereits in der fünften Klasse, die Betriebe vor Ort kennenzulernen - und damit mögliche Ausbilder.

Foto: Seybert

Wenn sich Schulleiter Bernd Rütten heute Morgen auf den Weg zur Arbeit macht, müsste er sich eigentlich zu seinem Traumjob gratulieren. Seine 198 Schüler lernen in einer top ausgestatteten Einrichtung, seine Abschlussjahrgänge schaffen es mit Notendurchschnitten zwischen 2,0 und 2,3 regelmäßig unter die Top 20 in NRW. Und bis zu 70 Prozent seiner Schulabgänger werden im Sommer einen aussichtsreichen Start ins Berufsleben packen. Trotzdem ist Bernd Rütten weit davon entfernt, sich selbst zu gratulieren. Seine Schule ist eine, die eigentlich keiner mehr will.

Alle in einen Topf

Die Hanna-Heiber-Hauptschule in Kranenburg gehört zu den verbliebenen 671 ihres Typs in NRW. Während die Zahl der Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien in den vergangenen Jahren leicht, aber kontinuierlich gestiegen ist, geht die der Hauptschulen stetig zurück. Neben den sinkenden Schülerzahlen, die allen Schultypen zu schaffen machen, hadert die Hauptschule mit ihrem schlechten Image. Dass das nun zu ihrem endgültigen Aus führen soll, sorgt bei Schulleitern für Kopfschütteln. Erst hat Rot-Grün die Bildungsempfehlungen für Grundschüler für unverbindlich erklärt, wodurch in diesem Jahr noch mehr Familien einen weiten Bogen um die Hauptschule machen werden als 2010. Und nun hat die Landes-CDU ein Schulkonzept beschlossen, in dem sie die eigenständige Hauptschule zum Auslaufmodell erklärt. Hauptschulabschlüsse, heißt es, könnten auch an anderen Schulen gemacht werden.

"Das Ärgerlichste ist, dass wir alle in einen Topf geworfen werden", sagt Rütten. "Viele Kollegen bemühen sich — und werden einfach abgewiegelt. Dabei gibt es für eine Gruppe von Schülern klar die Notwendigkeit für eine Hauptschule." Diese Gruppe umfasst im NRW-Schnitt zwar "nur" 13,3 Prozent der Schüler eines Jahrgangs. Im ländlichen Bereich wird ihr Anteil aber auf bis zu 30 Prozent geschätzt. Diese Schüler, sagt Rütten, brauchen eine wohnortnahe Einrichtung, an der Lesen, Schreiben und Rechnen individuell gefördert werden (bei ihm lernen auch die Zehntklässler noch in Kleingruppen) — und die sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz an die Hand nimmt (ab Klasse sieben sind Praktika Pflicht, Bewerbungen schreiben ist Schwerpunkt im Unterricht).

"In Sachen Berufsorientierung ist die Hauptschule einfach unschlagbar", fasst es Johannes Schriefers zusammen, Leiter der Sankt-Anno-Hauptschule mit Standorten in Straelen und Wachtendonk. Der enge Kontakt zu den Firmen sei der wichtigste Vorteil vor allem ländlich gelegener Hauptschulen. "Wenn wir einem Schüler klipp und klar sagen, ,diese Firma würde dich nehmen', dann stärkt das das Selbstbewusstsein ungemein." In seinen Abschlussklassen hätten so gut wie alle Schüler eine Perspektive, sagt Schriefers. Normalerweise müsse man in NRW mit einer Vermittlungsquote von 30 Prozent zufrieden sein, schätzt die Landeselternkonferenz.

Rütten und Schriefers wollen an ihren Konzepten festhalten, sie trotz anhaltender Hauptschul-Schelte sogar weiterentwickeln. Die Hanna-Heiber-Schule, von der aus es nur wenige Minuten bis in die Niederlande sind, holt zum Beispiel seit einiger Zeit einmal pro Woche niederländische Kollegen nach Kranenburg. Durch diese bilingualen Projekte werden die Schüler so fit in Niederländisch, dass sie sich auch jenseits der Grenze bewerben können, sagt Rütten. "Diese Angebote wollen wir auf jeden Fall ausbauen." Ob unter dem Namen "Hauptschule" oder nicht, das sei zweitrangig. Sein Kollege Schriefers wird deutlicher: "Unsere Arbeit kann man sich auch in einem anderen Modell vorstellen."

Motiviertes Hauptschulkind

Nur in welchem, ist bisher fraglich. Dass die 17 geplanten Gemeinschaftsschulen in NRW zu einem Drittel aus existenzgefährdeten Hauptschulen hervorgehen sollen, wurde vom Aktionsbündnis Schule bereits als "Etikettenschwindel" kritisiert. In dem Bündnis sind Elternvertreter organisiert, etwa der Elternverein NRW. Dieser bezweifelt auch, dass Gesamt- oder Verbundschulen — dort soll der Hauptschulabschluss laut CDU künftig möglich sein — passende Rahmenbedingungen bieten. "Dort würden die Schüler doch wieder eingeteilt — würden das Gefühl vermittelt bekommen, sie seien weniger wert, weil sie jetzt in den Hauptschulkurs müssen", sagt Ursula von Nollendorf vom Elternverein NRW. "Das schafft Frust. Und mir ist ein motiviertes Hauptschulkind lieber als ein frustriertes Gesamtschulkind."

769 Schüler sind in NRW zuletzt von der Gesamtschule auf die Hauptschule gewechselt. 20 bis 25 "Rückkehrer" nimmt allein die Hanna-Heiber-Schule jedes Jahr auf. Tendenz steigend, sagt Schulleiter Bernd Rütten: "In diesem Schuljahr hatten wir in der Sache so viele Anrufe wie noch nie."

(RP)
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