Kevelaer/Aachen 19 Jahre mit einem fremden Herzen

Kevelaer/Aachen · Am Samstag gründete sich in Kevelaer das Aktionsbündnis Organspende im Rheinland. Es will durch breite Information die Sensibilität der Menschen für das Thema erhöhen. Sören Riedel aus Aachen ist das perfekte Beispiel, wie ein Spenderorgan langfristig neues Leben schenken kann.

Den 5. März 1992 wird Sören Riedel nie mehr vergessen. Damals war er zwölf und lag mit irreparabler Herzmuskelschwäche in der Uni-Klinik Münster. Nach vier Monaten vergeblichen Wartens auf ein Spenderherz sollte der Junge an diesem Tag entlassen werden - um im Kreis der Familie zu sterben. Ihm hatte man gesagt, er könne auch zu Hause weiter warten.

Sein Vater hatte die Entlassungspapiere schon in der Hand, die Koffer waren gepackt. "Da kam der Arzt rein und sagte ,Jetzt geht?s los?", erzählt Riedel. Kurz darauf lag er im OP, am nächsten Morgen schlug ein neues Herz in seiner Brust. Es schlägt bis heute, und Riedel ist felsenfest davon überzeugt, dass es seine Arbeit lange zuverlässig verrichten wird. Der 32-Jährige Aachener ist eine medizinische Ausnahme, mancher würde von einem Wunder sprechen.

Im Schnitt liegt die Lebenserwartung mit einem Spenderherz bei zehn bis 15 Jahren, weil das Organ durch die Medikamente, die eine Abstoßung verhindern sollen, schneller altert. Sören Riedel muss dreimal im Jahr zur Kontrolle, sein Herz zeigt keinerlei übermäßigen Verschleiß. "Ich habe immer so gelebt wie jeder andere auch", sagt er. Damals, nach der Herz-OP, wussten seine Eltern nicht, dass sie ihren Sohn vor Keimen im Salat schützen oder bei fiebriger Grippe in die Klinik bringen müssen.

Auch diese Normalität, glaubt Riedel, hat ihn gerettet. Noch wesentlicher aber sei sein optimistisches Wesen und sein gesunder Egoismus. Vom ersten Tag an hat er das neue Organ als das eigene akzeptiert. "Wenn die Seele das Herz nicht annimmt, kann es der Körper auch nicht", sagt er. Sören Riedel ist ein rundum lebensbejahender Mensch mit einem ansteckenden Lachen. Mit diesem Mut hat er auch seine Krankengeschichte bewältigt.

Als Zehnjähriger wurde die Herzmuskelschwäche als Folge einer Chemotherapie diagnostiziert, eineinhalb Jahre mussten ihn seine Mitschüler die Treppen hochtragen, so schwach war er. Zwei Wochen nach der erfolgreichen Herztransplantation - der ersten bei einem Kind in der Uni-Klinik Münster - entwickelte sich ein Blutgerinnsel im Gehirn, er fiel ins Koma, das rechte Kleinhirn musste entfernt werden.

Als er aus dem Koma erwachte, konnte er weder sprechen noch seine Gliedmaßen steuern, musste alles neu lernen. Auch das gelang dem begeisterten Fußballer, der nie an sich zweifelte. "Ich wusste, dass ich wieder spielen werde." Ein gesunder Mensch denkt über das eigene Herz nur nach, wenn es mal aus dem Takt gerät. Die meiste Zeit verrichtet es seinen Dienst unbemerkt.

Sören Riedel macht da keine Ausnahme. "Mein Herz hat immer gepasst", sagt er. "Ich dachte nie, dass da jemand für mich gestorben ist." Es sei ja im Gegenteil so, dass derjenige, der sein Organ hergab, gewollt habe, dass er weiterlebe. Riedel empfindet eine tiefe Dankbarkeit für dieses Geschenk. "Irgendwann werde ich mit meinem Spender da oben eine große Party feiern", verspricht er.

Der 32-Jährige ist Erziehungswissenschaftler, sein Diplom bekam er 2008, am 5. März, dem Tag, an dem er 1992 neu geboren wurde. Er arbeitet als Referent für sozialrechtliche Fragestellungen beim Bundesverband Herzkranke Kinder (BVHK) in Aachen, berät Familien in Rechtsfragen oder hilft bei der Berufsfindung von Herzkranken. "Der Bedarf ist riesengroß", sagt er. Als Mensch mit einem Spenderorgan ist er prädestiniert für diese Stelle, deren Zukunft aber, weil spendenfinanziert, ungewiss ist.

Generell sei Aufklärungsarbeit in Bezug auf Transplantationen wichtig, um die Zahl der Spender zu erhöhen. Bei der Aufklärung setzt das Aktionsbündnis Organspende im Rheinland an, das am Samstag in Kevelaer gegründet wird. Zum Auftakt werben Promis wie Politiker Frank-Walter Steinmeier, der Weihbischof Walter Geerlings sowie der Sportdirektor von Bayer Leverkusen, Rudi Völler, für mehr Organspenden. "Jeder sollte sich einmal in seinem Leben mit dem Thema Organspende beschäftigen", sagt Riedel.

Er selbst treibt heute dreimal die Woche Sport, lebt ein Leben fast ohne Einschränkungen, wenn man von den Medikamenten gegen eine mögliche Abstoßung des Organs absieht. Irgendwann will Riedel einen Halbmarathon laufen. "Den werde ich meinem unbekannten Spender widmen. Ich kann mich nur bedanken, indem ich mein Leben bewusst lebe und ihm zeige, wie toll mein Herz funktioniert."

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