Hilden "Guter Deutscher" wird zum Verfolgten

Hilden · Die Historikerin Barbara Suchy erzählt in einem ergreifenden Buch die Geschichte des Hildener Juden Leo Meyer.

 "Ein ganz wichtiges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann", sagt Stadtarchivar Wolfgang Antweiler über "Leo Meyer aus Hilden".

"Ein ganz wichtiges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann", sagt Stadtarchivar Wolfgang Antweiler über "Leo Meyer aus Hilden".

Foto: Staschik

Leo Meyer (1891 geboren) stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie (Vieh- und Futtermittelhandel) in Hilden. Vier Jahre lang kämpft er im Ersten Weltkrieg für sein Vaterland. 1917 wird er Ortskommandant in Oost-Malle, einer Kleinstadt im besetzten Belgien. Dort leiden Hunderte von französischen Flüchtlingen aus Lille große Not. Meyer hilft: Mehrfach lässt er heimlich Lebensmittel in ein Kloster schaffen, das die Spenden verteilt. Mehr noch: Er bittet seinen Vater um Geld. Dieser schickt ihm 5000 Goldmark, damals ein Vermögen. Er gibt das Geld der Oberin und bittet sie, damit die Flüchtlinge zu versorgen. Die Nonnen nennen ihn "le bon boche", der gute Deutsche.

Die Pogromnacht 10. November 1938 ist in Hilden besonders schlimm. Hier sterben sieben Menschen, überproportional viele gemessen an der Einwohnerzahl (22.000). Auch Leo Meyer und seine Familie werden Opfer. Leo wird schwer verletzt, sein Vater Nathan stirbt einige Tage später an den Misshandlungen. Anstifter der Mörderbande ist der NS-Ortsgruppenleiter Heinrich Thiele - ein Nachbar. Leo Meyer flieht 1939 nach Belgien und bittet völlig mittellos im Kloster von Oost-Malle um Hilfe. Die Oberin erkennt "le bon boche" - und hilft. Als die Wehrmacht Belgien überfällt, wird Leo Meyer in dem berüchtigten Lager Gurs in Vichy-Frankreich interniert. Ohne die Lebensmittelpakete von Oberin Beatrix wäre er dort verhungert. Die Französin tut alles, wirklich alles, um ihn dort herauszuholen. 1941 hat sie Erfolg: Leo Meyer erhält "Erholungs-Urlaub", wird befristet entlassen. Der Bruder der Äbtissin, der Müller Joseph Briquet, nimmt ihn bei sich zu Hause auf. Dort kann sich der deutsche Jude bis Kriegsende verstecken. Obwohl viele in dem kleinen Dorf Antisemiten sind, wird er nicht verraten. 1949 kehrt Meyer nach Hilden zurück, kämpft um Wiedergutmachung. Nazi-Nachbar Thiele hatte sich die fünf Häuser der Meyers samt dem dazu gehörigen Land unter den Nagel gerissen. Gerichte sprechen Thiele frei. Leo Meyer findet keine Gerechtigkeit und stirbt - krank und zermürbt - mit 58 Jahren: "Die Zeiten, die ich durchgemacht habe, haben mich umgebracht."

Eine unglaubliche Geschichte - herzzerreißend. Aufgeschrieben hat sie die Hildener Historikerin Dr. Barbara Suchy (75): nüchtern und ohne moralischen Appell, aber deshalb um so ergreifender. Beim Lesen hat man häufig Tränen in den Augen und einen dicken Kloß im Hals. "Es waren mutige, tapfere Menschen, die anständig und hilfsbereit waren", sagt Suchy.

Wie es zu dem Buch kam, ist eine zweite Geschichte hinter der Geschichte. Leo Meyer hatte fast alles in seinem Leben verloren. Aber 200 Briefe von seinen Freunden (und einige eigene) hat er aufbewahrt und über die Zeit gerettet. Suchy freundete sich zufällig mit Regine Cohn (Haifa/Düsseldorf), Meyers Tochter, an. Sie vertraute ihr die Briefe ihres Vaters an. Barbara Suchy machte daraus eine "dokumentarische Erzählung". "Ein ganz wichtiges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann", sagt Stadtarchivar Dr. Wolfgang Antweiler.

(RP)
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