Interview: Dr. Albert Hein "Viel mehr Patienten bräuchten Cannabis gegen ihre Schmerzen"

Geldern · In Einzelfällen dürfen Patienten laut Gericht Cannabis anbauen. Der Gelderner Schmerzarzt nutzt das Medikament auch, das ihn aber schon viel Geld kostete.

Das sollten Sie über Cannabis wissen
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Foto: dpa, obe fpt hjb lre

Wie beurteilen Sie die teilweise Cannabis-Legalisierung?

Albert Hein Grundsätzlich bin ich dafür, dass Schmerzpatienten Cannabis verschrieben wird, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Bei den Patienten sind alle alternativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft, und das Medikament muss durch einen zugelassenen Fachschmerzmediziner legalisiert sein. Außerdem muss der Patient bereits vorher vom Schmerzarzt behandelt werden, und bestimmte Auflagen müssen erfüllt sein. Ansonsten kann Cannabis leicht missbraucht werden und es kann zum Trend werden, Schmerzen mit Cannabis zu lindern. Es darf auf keinen Fall so sein, dass sich bald jeder sein eigenes Medikament mixt und dieses Medikament von Nichtschmerz-Medizinern ohne Kenntnisse verschrieben wird!

Welche Nachteile sehen Sie bei der Anwendung?

Hein Der größte Nachteil ist der immense Antragsaufwand bei den Krankenkassen, die sich zudem sehr gegen eine Verschreibung in Einzelfällen stellen, sowie die hohen Kosten. 2004 mussten wir 25 000 Euro Strafe an die KKH zahlen, weil wir einer Patientin mit Multipler Sklerose Cannabis verschrieben. Die Patientin hatte stärkste Schmerzen, hätte aber laut KKH das Medikament nicht erhalten dürfen, da es kein Fertigarzneimittel in Deutschland gab - wohl aber in der internationalen Apotheke. Damals war die Gesetzeslage noch sehr schwammig.

Welche Nebenwirkungen kann Cannabis haben?

Hein Zu den klassischen Nebenwirkungen gehören das Wiederaufflackern oder Neuauftreten von Gemütserkrankungen und Psychosen. Des Weiteren können Interessensverlust und Abnahme des Intelligenzquotienten die Folge sein. Allerdings nehmen Patienten gerade letzteres in Kauf, wenn sie dafür ein Leben ohne Schmerzen führen können. Es gibt aber auch positive Nebenwirkungen. Cannabis kann zum Beispiel gegen Übelkeit helfen und den Appetit wieder anregen. So wird gleichzeitig ein Gewichtsverlust verhindert. Darüber hinaus kann das Immunsystem gestärkt werden und bei Krebspatienten können sogar Tumorzellen zerstört werden. Das sind bislang jedoch nur Annahmen, da die Forschungsergebnisse noch nicht aussagekräftig sind.

Wie viele Patienten behandeln Sie im Schmerzzentrum in Geldern mit Cannabis?

Hein Von unseren 1200 Patienten erhalten gerade mal zehn das Medikament. Da aber wesentlich mehr Patienten Cannabis bräuchten, die Krankenkassen aber nach wie vor die Hürde sind, empfehlen wir einigen, sich in den Niederlanden legal zum Beispiel "mooncakes" zu kaufen. Außerdem würden wir durch die Cannabis-Anwendung die teuren Opiate einsparen, die die meisten Patienten anstatt Cannabis bekommen. Opiate sind stark wirkende Schmerz-und Betäubungsmittel.

Haben außer Ihnen noch weitere Kollegen mit der Cannabis-Behandlung Erfahrungen gemacht?

Hein Ja, unter anderem behandelt der Schmerzarzt Dr. Johannes Horlemann aus Kevelaer Patienten mit Cannabis. Auch weitere Schmerzmediziner wenden Cannabis an. Die Versorgungslage ist also generell nicht schlecht.

Was wird in der Schmerztherapie sonst noch angewendet?

Hein Neben verschiedenen Spritzenarten, Physio- und Psychotherapie wenden wir die sogenannte Medikamentenstufentherapie an. Nach den Antirheumatika und den leichten Opioiden werden schließlich die starken Opiate angewendet. Die Erfahrung zeigt aber, dass je nach Erkrankung manchmal auch direkt Opiate (Stufe drei) nötig sind. Palliativpatienten werden diese häufig sofort verschrieben.

NELE HUYLMANS STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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