Düsseldorf Der US-Nachrichtenoffizier Saul K. Padover in Oberkassel

Düsseldorf · Der Mitarbeiter des Geheimdienstes befragt die Düsseldorfer. Er will wissen: Wer sind diese Deutschen ohne ihren Führer?

Saul K. Padover rollt in seinem Kommandowagen, begleitet von einem Funkwagen und zwei Jeeps, nach Oberkassel hinein, das deutsche Truppen an drei Seiten eingeschlossen hatten. Die Rheinbrücke ist zerstört, Düsseldorf auf der anderen Seite des Stroms noch in deutscher Hand. "Als wir dorthin fuhren, hatten wir das Gefühl, als beträten wir eine Falle, zumal kaum mehr als eine Abteilung GIs in der Stadt war, an manchen Tagen sogar überhaupt niemand", schreibt er in seinem Bericht.

Der Aufklärungsoffizier ist in einer selbst auferlegten Mission unterwegs: möglichst viele Deutsche in den eroberten Dörfern und Städten zu befragen, um daraus ein Stimmungs- und Situationsbild der Bevölkerung angesichts der Niederlage zu gewinnen. Wer sind diese Deutschen ohne ihren Führer? Bleiben sie selbst in der Niederlage Rassisten und Fanatiker, oder sind sie in der Mehrzahl Mitläufer, die ihre Fahne nach dem Wind hängen?

Die Generäle des alliierten Oberkommandos interessiert, was ihre Truppen im befreiten Deutschland erwartet. Ist mit Sabotage zu rechnen, mit Gegenwehr oder passivem Widerstand? Droht ein Generalstreik wie an der Ruhr nach dem 1. Weltkrieg? Padovers Protokolle gehen direkt an General Dwight D. Eisenhower und erregen einiges Aufsehen.

Padover gehört 1945 zum "Office of Strategic Services" (OSS), einem Vorläufer der CIA. In weiten Kreisen gilt es in den 1940er Jahren als chic, patriotischen Dienst im neuen, international gegen die Nazis operierenden Geheimdienst zu leisten. Juden wie Padover oder deutsch-jüdische Emigranten wie Herbert Marcuse, Hans Habe oder Stefan Heym - sein Roman "Der bittere Lorbeer" schöpft aus seiner Zeit im OSS - finden bevorzugt Aufnahme. Die Spezialeinheiten waren zuständig für Gegenpropaganda in Zeitungen und Radiosendungen sowie Flugblätter. Nach Kriegsende erteilten sie Lizenzen für Rundfunkanstalten und Zeitungen.

Saul Kussiel Padover wanderte 1920 im Alter von 15 Jahren mit den Eltern von Wien in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. 1942 trat er in den Geheimdienst ein, wo er im Rang eines Oberstleutnants in einer Spezialeinheit für psychologische Kriegsführung dient.

Eine Gruppe von US-Besatzungsoffizieren soll von Oberkassel aus die Düsseldorfer Stadtverwaltung neu aufbauen, reportiert Padover. Geeignete Personen sind, da Verwaltungsstellen nicht von Nationalsozialisten und Deutschnationalen bekleidet werden dürfen, schwer zu finden. Dies gilt insbesondere für den Posten des Bürgermeisters. Einen Kandidaten beschreibt er etwa als unentschlossen, panisch und ohne Verantwortungsgefühl.

1200 bis 1500 Meter entfernt, auf der Düsseldorfer Rheinseite, machen sich nach den Worten Padovers Scharfschützen einen Jux daraus, mit ihren erstklassigen Gewehren und Zielfernrohren Oberkassel aufs Korn zu nehmen. "Da sich kaum noch Amerikaner in dem Ort aufhielten, waren es hauptsächlich deutsche Frauen und Kinder, die sie erwischten, und gelegentlich ein paar alte Männer", hält er fest.

Dass Deutsch seine Muttersprache und er mit den Verhältnissen in Deutschland vertrauter ist als seine Kameraden, erleichtert Padover die Aufgabe, in weitgehend unbekannten Bevölkerungskreisen politisch nicht vorbelastete Menschen für die Zeit nach dem Krieg zu finden. Und er ist in Übung, interviewt er doch in den befreiten Gebieten unterschiedslos Deutsche verschiedenster Schichten und Berufe und notiert ihre Äußerungen über "Führer" und Krieg und das eigene Leben in Zeiten der Diktatur.

Der Offizier verfügt nicht über die Möglichkeit zu Sanktionen, bringt seine Gegenüber aber mit der Autorität des Siegers und Besatzers zum Reden. Er will von diesen Menschen, die vielfach hungernd in Ruinen hausen und Angehörige im Krieg verloren haben, vor allem wissen, warum sie keinen Widerstand geleistet haben. Immer stehen in den Gesprächen Zivilcourage, Verantwortung und Moral im Vordergrund. Nicht justiziable Schuld. Und weil Padover der Erste ist, der nachfragt, antworten ihm die kleinen Leute wie die Großkopferten offen, ohne die wenig später schon eingeübten Stereotype.

"Wir besuchten eine Schule, deren Keller als Notlazarett diente, und sprachen mit Verwundeten," so Padover. "Alle waren viel zu betroffen und vielleicht auch zu verängstigt, als dass sie ihrer Verbitterung über die Wehrmacht Luft gemacht hätten. Eine Frau mit einer Kopfverletzung sagte: 'Das ist wirklich eine tragische Geschichte.' Ein alter Mann mit durchgeschossenem Knie bemerkte traurig: 'Von deutschen Soldaten hätte ich so etwas nicht erwartet.'" Fassungslos zeigt der Chronist sich über eine Frau, deren Gatte in Russland gefallen war und deren beiden Söhne an der Front Dienst taten. Auf der Straße zerfetzte ihr ein Kupfergeschoss die Lunge, und als Padover von ihr wissen will, was sie davon halte, dass deutsche Soldaten auf sie, eine deutsche Mutter, geschossen hätten, antwortete sie wimmernd vor Schmerzen: "Ich finde das sehr gemein."

Nach dem Kriegsende lehrt Padover Politikwissenschaften an der renommierten New School of Research in New York. Er stirbt dort 1981, ohne eine Familie zu hinterlassen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort