Dinslaken/Voerde Der Krug, aus dem nicht getrunken wurde

Dinslaken/Voerde · Als Theodor Buckting 1913 als Reservist nach Hause kam, ahnte er nicht, dass er schon bald in den Krieg ziehen würde. Drei Monate kämpfte der Soldat aus Spellen an der Westfront. Er überlebte mit einem schweren Nierenschaden.

Dinslaken/Voerde: Der Krug, aus dem nicht getrunken wurde
Foto: Büttner, Martin (m-b)

Bis zum Beginn seines Militärdienstes in Lothringen hatte Theodor Buckting wenig von der Welt gesehen. Wenn ihn jemand darauf ansprach, antwortete er mit Humor. "In Wesel kenne ich mich ganz gut aus, und dreimal war ich auch schon in Oberhausen." Regina Pohl kennt den Satz ihres Großvaters aus Erzählungen. Dass "Opa Theo" von 1911 bis 1913 aktiven Militärdienst beim Infanterieregiment 144 in Metz geleistet hat, daran wird die Enkelin fast täglich erinnert. Der Reservistenkrug, den er vor über 100 Jahren nach Hause gebracht hat, steht in ihrem Wohnzimmerschrank in Spellen.

Reservistenkrüge sind in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert von wehrpflichtigen Soldaten am Ende der Dienstzeit gekaufte, oftmals bunt gestaltete Trinkgefäße, die als Andenken dienten. Auf ihnen findet sich allerlei Gereimtes. Auf Theodor Bucktings Krug ist dieser Satz zu lesen: "Meine Dienstzeit ist nun aus, sei gegrüßt, Liebes Vaterhaus." Und dieser: "Wer fern vom lieben Heimatland in Metz an Frankreichs Grenze stand, wer deutsches Land hat treu bewacht, hat als Soldat was mitgemacht."

Als der Reservist damals zurück nach Spellen kam, ahnte er nicht, was er tatsächlich noch würde mitmachen müssen. Geboren im September 1891 in Mehr (Kreis Rees), besuchte Theodor Buckting bis zum 14. Lebensjahr die Volksschule und arbeitete bis zu seinem 20. Lebensjahr als Ackergehilfe. Von 1913 bis 1916 war er als Bahnarbeiter bei der Deutschen Reichsbahn in Oberhausen beschäftigt. Im Dezember 1916 wurde er zum Reserve-Infanterieregiment 55 eingezogen. Sein Bruder Paul war ein Jahr zuvor an der Westfront gefallen.

Zunächst war Buckting in Deutschland stationiert, wo er auf seinen Fronteinsatz vorbereitet wurde. Ende Oktober 1917 zog er in Flandern in seine ersten Gefechte. Ein Kamerad, den er aus der Heimat kannte, kämpfte an seiner Seite. Ihm prophezeite er im Schützengraben: "Spellen kriegen wir nicht mehr zu sehen." Buckting hatte Unrecht. Er überstand Flandern, wurde zum Grenzschutz an der belgisch-holländischen Grenze abkommandiert, kämpfte bei Cambrai und erlebte schließlich vom 6. Dezember 1917 bis 22. Januar 1918 beim Stellungskampf bei Artois das große Sterben. Tagelang war er in Schützengräben und Granattrichtern eingeschlossen, die voll Wasser standen. Der Soldat aus Spellen überlebte seinen dreimonatigen Fronteinsatz, erlitt allerdings einen schweren Nierenschaden. Den Rest des Krieges verbrachte er im Lazarett.

"Von seinem Nierenleiden hat er sich zeitlebens nicht mehr erholt", berichtet Ernst Buckting (75), jüngster und einzig noch lebender Sohn der Familie. Wie viele Soldaten, die aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause kamen, hat auch sein Vater kaum etwas über seine Fronterlebnisse erzählt. Nach dem Krieg kehrte er zur Reichsbahn, seiner alten Arbeitsstelle, zurück. 1921 heiratete Theodor Buckting. Die Ehe war mit vier Kindern gesegnet — einer Tochter und drei Söhnen. Einer davon fiel im Zweiten Weltkrieg. Erst vier Jahre vor dessen Ausbruch hatte der Bahnarbeiter aus Spellen zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg das vom Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer verliehen bekommen. Auch Theodor Buckting rief der Krieg noch einmal zu einem Sondereinsatz, allerdings nicht als Soldat. Von Juni 1941 bis November 1942 wurde er als Bahnarbeiter in besetzte Gebiete im Osten abkommandiert.

Ernst Buckting hat seinen Vater als einen Menschen in Erinnerung, der seinen Kindern ein Vorbild war. "Er hat immer dafür gesorgt, dass die Familie genug zu essen hat, auch wenn er selbst oft hungrig ins Bett ging. Er hat uns das Leben gut vorgelebt. Ich bin stolz auf ihn." Für seine Enkelin Regina Pohl war "Opa Theo" ein fröhlicher Mensch und gläubiger Christ. "Er war immer für uns Kinder da. Der Geldbeutel saß bei ihm locker. Er steckte uns oft was zu."

Den Reservistenkrug hatte Theodor Buckting lange auf dem Dachboden versteckt. Es gab keinen Grund, ihn zu zeigen. "Der treu gedient hat seine Zeit, dem sei ein volles Glas geweiht", ist auf dem Krug zu lesen. Aus dem Bierhumpen getrunken hat der Reservist nach Kriegsende wegen seiner geschädigten Nieren nie. "Wenn überhaupt, hat er mal einen kleinen Schnaps genommen, das war's", sagt Ernst Buckting. Von der Existenz des Kruges erfuhr der Sohn erst, als er selbst den Wehrdienst hinter sich hatte und — so wie es damals Sitte war — als Reservist mit geschmücktem Spazierstock und Hut von der Bundeswehr heimkehrte. "Vater sagte: Ich zeig' dir mal was und ging auf den Söller." Offensichtlich war es die Freude und Erleichterung darüber, dass sein Sohn, der "gedient" hatte, unbeschadet und gesund vom Militärdienst zurückgekehrt war. Ernst Buckting erinnert sich gut daran an den Tag im Juli 1960, als er zur Bundeswehr eingezogen wurde. Todtraurig sei der Vater gewesen. "Als er mich zur Straßenbahn brachte, hat er geweint."

Im Dezember 1982 ist Theodor Buckting gestorben. Er wurde 91 Jahre alt.

2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Die Rheinische Post und das Stadtarchiv Dinslaken suchen Kriegstagebücher, Dokumente, Fotos und andere Erinnerungsstücke. Regina Pohl aus Spellen hat uns den Reservistenkrug ihres Großvaters Theodor Buckting zur Verfügung gestellt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort