Stadt und Krankenkasse im Streit Familie aus Oberhausen kämpft um Betreuung für krankes Kind

Oberhausen · Der zweijährige Paul hat Diabetes Typ 1 und braucht in seiner Kita rund um die Uhr Betreuung. Doch diese bekommt er nicht. Vor allem die Stadt Oberhausen sieht sich nicht in der Verantwortung.

 Der kleine Paul ist an Diabetes Typ 1 erkrankt.

Der kleine Paul ist an Diabetes Typ 1 erkrankt.

Foto: Daniel Hecht

Paul spielt für sein Leben gerne mit anderen Kindern. Er tobt herum, klettert auf Spielgeräte und ist eigentlich ein normaler zweijähriger Junge. Wenn Paul nicht an Diabetes erkrankt wäre. Der kleine Junge braucht laut seiner Mutter rund um die Uhr Betreuung.

Paul trägt eine Insulin-Pumpe an seinem Bein. Die ersetzt das lästige und schmerzhafte Spritzen des lebensnotwendigen Insulins. Mit der programmierbaren Pumpe wird über einen Katheter das Hormon in seinen Körper geleitet. „Trotzdem muss sein Insulin-Wert auch manuell regelmäßig gemessen werden“, sagt Nina Hecht, seine Mutter. „Nach der Messung stellt man ein, wie viel Insulin abgegeben werden muss“, sagt sie. Dabei müsse genau darauf geachtet werden, wie viel Paul isst, da davon die Menge des benötigten Hormons abhängt. Bekommt er das nicht, könnte er ins Koma fallen.

In Pauls Kita-Gruppe gibt es jedoch keine Betreuerin, die Erfahrung mit Diabetes hat. Bislang musste seine Mutter ständig in einem Nebenraum sitzen, um seine Werte überprüfen zu können. „Das ist aber schließlich kein Dauerzustand“, sagt Hecht. Schließlich wolle sie auch wieder arbeiten gehen. „So ist kein normales Leben möglich - weder für Paul, noch für uns als Familie“, sagt Hecht. „Daher benötigen wir eigentlich eine Pflege, die Paul während der Zeit in der Kita betreut und seine Werte im Blick hat.“ Die Krankenkasse habe jedoch lediglich „dreimal täglich den Einsatz des Pflegedienstes als punktuelle Einzelleistungen“ genehmigt, weil laut eines Gutachtens des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) „keine medizinischen Voraussetzungen für die ‚spezielle Krankenbeobachtung‘ vorlagen“. Das teilte Sara Rebein, Sprecherin der Barmer-Krankenkasse auf Anfrage unserer Redaktion mit. Das bedeutet, dass eine Pflegekraft während der Essenszeit in Pauls Kita kommt, dort seinen Insulin-Wert misst und die entsprechende Zufuhr über die Pumpe bestimmt - danach fährt die Pflegekraft wieder, und Paul ist mit seinen Betreuerinnen auf sich allein gestellt. Und genau das ist laut Hecht das große Problem: „In der Zeit vor und nach dem Essen müssen die Werte von Paul auch überprüft werden. Vor allem Kinder toben doch viel und haben entsprechend große Schwankungen“, sagt Pauls Mutter. Sogar der Kinderarzt habe eine dauerhafte Betreuung des Jungen empfohlen.

  Daniel Hecht mit seiner Tochter, Paul und Frau Nina.

Daniel Hecht mit seiner Tochter, Paul und Frau Nina.

Foto: Daniel Hecht

Diese Betreuung könnte Paul auch bekommen. “Selbst wenn keine Voraussetzungen für die ‚spezielle Krankenbeobachtung‘ vorliegen, kann ein Pflegedienst über den gewünschten Zeitraum hinweg die Betreuung durchführen. In solchen Fällen übernehmen Krankenkassen und Sozialhilfeträger ihren jeweiligen Anteil an den Kosten“, sagt die Barmer-Sprecherin. Laut Krankenkasse habe die Stadt bis heute nicht auf deren Schreiben vom August 2018 reagiert. „Für uns ist dabei unstrittig, dass Paul in der Kita zusätzlich Hilfe braucht – leider herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, wie diese Unterstützung erbracht und demnach finanziert werden soll“, sagt Rebein. Die Stadt widerum weigert sich, die anteiligen Kosten für die Betreuung von Paul zu übernehmen. „Für die Krankenbeobachtung ist die Krankenkasse zuständig“, teilte die Sozialverwaltung der Stadt Oberhausen auf Anfrage unserer Redaktion schriftlich mit.

Die Familie fühlt sich derweil allein gelassen. „Eltern, die ohnehin durch die Erkrankung eines Kindes Sorgen haben, sollten solche Dinge einfacher gemacht werden“, sagt Hecht. „Unser Kind hat ein Recht auf Teilhabe, warum wird ihm das verwehrt?“

Auch in dieser Frage sieht sich die Stadt Oberhausen keinesfalls in der Verantwortung. „Der Vorwurf der Familie ist unberechtigt. Das Recht auf Teilhabe wird durch Leistungsverweigerung der Krankenkasse blockiert, nicht vom Sozialhilfeträger“, heißt es in dem Schreiben.

Auf das Schicksal der Familie ist Rechtsanwältin Lisa Völpel-Klaes aus Gießen aufmerksam geworden. Laut der Juristin hat die Familie Anspruch darauf, dass Paul von einem Pflegedienst dauerhaft in der Kita-Zeit betreut wird. „Ich habe das selber durchgemacht und musste zahlreiche Telefonate mit der Krankenkasse führen“, sagt die Rechtsanwältin. Ihr eigenes Kind ist an Diabetes Typ 1 erkrankt, der 32-Jährigen wurde mittlerweile jedoch eine Vollbetreuung ihres Kindes in der Kita genehmigt – nachdem sie mehrfach mit 10 oder 20 Stunden Betreuung pro Woche hingehalten wurde. Laut der Expertin steht der Familie sogar eine besondere pädagogische Betreuung in der Kita zu. Beide Punkte müsse man jedoch getrennt voneinander betrachten. Die Krankenkasse stehe für die medizinische Betreuung in der Pflicht, die Stadt für die entsprechende pädagogische Betreuung.

Gemeinsam mit der Rechtsanwältin will Familie Hecht nun für ihr Recht kämpfen. Mittlerweile hat die Familie eine neue Verordnung des Kinderarztes an die Krankenkasse verschickt. Diese wird nun erneut begutachtet. „Um fair und objektiv überprüfen zu können, ob die Voraussetzung für die ‚spezielle Krankenbeobachtung‘ bei Paul zwischenzeitlich vorliegen, werden wir den MDK mit einem Gutachten beauftragen“, heißt es. Sollte der MDK zu dem Entschluss kommen, dass die spezielle Krankenbeobachtung notwendig ist, würde die Krankenkasse die Kosten für die sechs Stunden, in denen Paul von einem Pflegedienst in der Kita betreut wird, komplett übernehmen.

Anmerkung der Redaktion: Der Ehemann von Nina Hecht ist Mitarbeiter der RP.

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