Gruppenvergewaltigungen im Ruhrgebiet Mutmaßliche Täter kannten ihre Opfer

Essen · Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung mehrerer Schülerinnen hat sich der lange gesuchte mutmaßliche Täter am Donnerstag gestellt. Bei Taten wie diesen ginge es um Macht und Überlegenheit, erklärt eine Pädagogin.

Als die Essener Polizei am 17. Januar einen jungen Mann festnimmt, der mit drei weiteren Beteiligten eine Jugendliche vergewaltigt haben soll, wird erst nach und nach die Dimension des Falls klar — und das abgebrühte Vorgehen der mutmaßlichen Täter. Der 19-Jährige aus Gelsenkirchen hatte dem 16 Jahre alten Mädchen, das die Gruppe am Abend zuvor auf einem Feld vergewaltigt haben soll, seine Handynummer gegeben. Für den Fall, dass man sich noch einmal treffen wolle. Das Mädchen ging damit am nächsten Tag zur Polizei und erstattete Anzeige. Die Ermittler nahmen den Mann fest, stellten sein Handy sicher und durchsuchten seine Wohnung. Beim Lesen der Chats stellten sie fest, dass die 16-Jährige nicht das einzige Opfer der Bande ist.

Nachdem Staatsanwaltschaft und Polizei am Mittwoch die Öffentlichkeit über die Gruppenvergewaltigungen informiert haben — die Rede ist von mindestens sechs Fällen — , lief die Fahndung nach einem der mutmaßlichen Täter auf Hochtouren. Am Donnerstagabend dann stellte sich der Gesuchte im Beisein seines Anwalts der Polizei. Er soll die Mädchen zunächst angelockt haben. Je drei weitere Männer kamen dazu, man fuhr mit dem Auto durch die Gegend, die Täter nahmen dem Mädchen das Handy ab und zwangen es zum Sex. Dann brachten sie ihr Opfer nach Hause. "Soweit wir wissen, stammen alle Opfer aus dem Bekanntenkreis der Täter", sagt ein Sprecher der Essener Polizei.

Macht und Überlegenheit

Laut Ursula Enders, Leiterin und Gründerin des Kölner Vereins Zartbitter e.V., der sich um Opfer sexueller Gewalt kümmert, ist die Tat der Männer nicht zu erklären. "Es handelt sich um völlig empathieloses Verhalten, es mangelt ihnen an jeglichem Einfühlungsvermögen", sagt die Diplompädagogin. Wie bei jedem sexuellen Übergriff gehe es vermutlich auch bei den Taten in Essen und Gelsenkirchen um Machtdelikte. Durch Gruppenvergewaltigungen bestätigten sich jugendliche Täter gegenseitig in dem Gefühl der Überlegenheit. "Das Ganze wird dann als Scherz vor sich selbst und anderen bagatellisiert", erklärt Enders. Die Beschuldigten sollen sich nach den Taten im Chat über ihre Opfer lustig gemacht haben.

Drei 16-Jährige sind als Opfer bekannt, weil sie Anzeige erstattet haben. Der junge Mann, der sich am Donnerstag stellte, war untergetaucht, nachdem die Polizei am 30. Januar zwei weitere Beschuldigte festgenommen hatte. Sie sind 19 und 23 Jahre alt, gegen einen 16-Jährigen wird ebenfalls ermittelt.

Wenn sich bestätigt, wovon die Staatsanwaltschaft ausgeht, haben die Männer sich in immer kürzeren Abständen Opfer gesucht. In den Chats ist von einer Tat am 15. Januar die Rede, einen Tag später kam es zu der Vergewaltigung, die die 16-Jährige zur Anzeige brachte. Als ihr Kumpel am 17. festgenommen wurde, sollen die anderen Männer wieder losgezogen sein, um ein Mädchen zu vergewaltigen. "Wir wissen noch nicht, ob es diese Tat gegeben hat oder ob sie nur geplant war", sagt der Polizeisprecher. Ein Opfer hat sich bisher nicht gemeldet. Ebenfalls unklar ist, ob die Tat am 15. Januar stattgefunden hat. Die Polizei bittet weitere Opfer, sich zu melden. Fest steht, dass es im Dezember eine Vergewaltigung in Gelsenkirchen gegeben hat: Diese Tat wurde von einer 16-Jährigen angezeigt. Eine versuchte Vergewaltigung im Januar wurde ebenfalls angezeigt. Und auch im November könnte es schon zu einem Übergriff gekommen sein.

Darum informierte die Polizei nicht früher

Für die Polizei gab es keine Möglichkeit, früher an die Öffentlichkeit zu gehen: Es lag die Anzeige aus Gelsenkirchen vor und erst, als die zweite Tat im Januar in Essen angezeigt wurde, schlossen die Ermittler, dass es einen Zusammenhang geben könnte, weil sich die Vorgehensweise der Täter ähnelte.

Verhindern ließen sich solche Taten kaum, sagt Enders. Nur Prävention könne etwas bewirken. "Täter, die so perfide und geplant vorgehen, sind fast immer schon früher in Bezug auf sexuelle Gewalt auffällig geworden", sagt sie. An diesem Punkt hätte eingegriffen werden müssen. Die Pädagogin appelliert an Gerichte, straffällig gewordene Jugendliche nicht wegzusperren, sondern sie in Therapien zu geben.

(RP)
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