Anklage gegen Ex-Regierungschef Haarde Finanzkrise: Island sucht den Sündenbock

Reykjavik (RPO). Es ist ein historischer Prozess, der am Montag in Island begonnen hat. Während die USA wegen der Finanzkrise Großbanken verklagen, nehmen sich die Isländer gleich mal ihren ehemaligen Regierungschef vor. Es zeigt, wie tief die Wunden des Landes angesichts der Entwicklungen aus dem Jahr 2008 sind. Nur knapp war es damals an der Pleite vorbeigeschrammt.

Die Finanzmarktkrise schnell erklärt
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Der Bankencrash, der Island vor drei Jahren erwischte, war verheerend. Gerade einmal drei Banken konnten vor dem Bankrott und das Land selbst nur durch Mittel aus dem Internationalen Währungsfonds und von den anderen skandinavischen Ländern gerettet werden. Die isländische Krone büßte massiv ein, viele verloren ihre Ersparnisse, die Inflation stieg enorm an.

Und nicht nur das, auch die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten wurden auf eine harte Probe gestellt, denn viele ausländische Sparer hatten ebenfalls in Island ihr Geld angelegt - und verloren. Volksabstimmung folgte auf Volksabstimmung, weil die Isländer nicht für die Pleite der Icesave-Bank zahlen wollten. Nun also ist es Geir Haarde, den das Land vor einem Sondergericht zur Rechenschaft ziehen will.

Prozess vor Sondergericht

Haarde erschien am Montag im dunklen Anzug zum Prozess. Er wurde von seiner Frau begleitet. Auch Vertreter seiner konservativen Unabhängigkeitspartei, die schließlich auf Druck der Bevölkerung vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hatten, waren bei der Anhörung anwesend.

Allein das Gericht namens Landsdomur ist historisch einmalig. Es wurde im Jahr 1905 extra für den Fall eingeführt, um amtierende oder frühere Regierungsmitglieder wegen Fehlverhaltens während ihrer Amtszeit zur Rechenschaft zu ziehen. Doch zusammengekommen ist es nie - bis zum heutigen Tag. Nun tagt es im Kulturhaus der Hauptstadt Reykjavik.

Es war das isländische Parlament, dass im vergangenen Jahr beschlossen hatte, Haarde als einziges Kabinettsmitglied wegen des Zusammenbruchs des isländischen Bankensystems vor das Hohe Gericht zu stellen. Die Anrufung des Gerichts war unter den Abgeordneten umstritten, da das Landsdomur und seine Rechtsgrundlage womöglich nicht mehr heutigen Standards entspricht.

Vor dem Votum des Parlaments hatte aber eine Untersuchungskommission der Regierung Haardes Fehlverhalten während der Finanzkrise vorgeworfen und eine Anrufung empfohlen. Finanzminister Steingrimur Sigfusson, der als einer der entschiedensten Gegner Haardes gilt, sagte im Juli, es sei im Oktober 2008 kaum etwas gegen die drohende Katastrophe unternommen worden.

Vorwürfe zurückgewiesen

Die Kommission sah aber neben Haarde auch noch drei Minister in der Verantwortung für den Zusammenbruch des Bankensektors. Nun ist es aber allein der ehemalige Regierungschef, der sich gerichtlich verantworten muss. Die anderen drei Regierungsmitglieder anzuklagen, darauf verzichtete das Parlament.

Haarde selbst wies die Vorwürfe stets zurück und bezeichnete den Prozess als "Farce". Er bezeichnete den Prozess als politisch motiviert und kündigte an, die Anklage zurückzuweisen. Schon früher hatte er erklärt, dass er sich nicht persönlich verantwortlich fühle für den Zusammenbruch des Finanzsektors. Er erklärte, es sei vielmehr die unbesonnene Expansion des Bankensektors Schuld an der isländischen Finanzkrise.

Letzlich wird es nun der Prozess zeigen müssen, ob Haarde tatsächlich wegen der Krise verurteilt werden kann. Verantworten muss er sich jedenfalls wegen "Fahrlässigkeit".

(das/jre)
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