Vom Leistungsträger zum Depressiven Wie Stress zum Burn-out führt

Essen/Dortmund · Die Grenze, ab der Stress nicht mehr Motor für die eigene Leistungsfähigkeit ist, sondern schädlich wird, ist fließend. Stress hat viele Gesichter. Eines davon ist der Burn-out. Er zwingt leistungsfähige Menschen in die Knie, macht aus mitteilsamen und offenen Kollegen Depressive. Doch ein Burn-out kündigt sich an.

Burnout: Auf diese Anzeichen müssen Sie achten
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Burnout: Auf diese Anzeichen müssen Sie achten

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Foto: Techniker Krankenkasse

Der IT-Spezialist, der sich täglich mit unzähligen Passwörtern in diverse Oberflächen einloggt, weiß plötzlich kein einziges Passwort mehr. Die erfolgreiche und durchorganisierte Managerin, die mit dem Einkaufswagen im Supermarkt steht, kann sich nicht mehr erinnern, wie man einkauft. Dinge, die sie vorher mit Leichtigkeit gemanaget hat, werden zur unüberwindbaren Hürde, Alltäglichkeiten zu unüberschaubaren Herausforderungen. Gesund wirkende Menschen brechen in sich zusammen. Burnout-Syndrom heißt die Diagnose. Doch bezeichnet der Begriff das Problem in nicht treffender Weise.

Erste Anzeichen nicht ignorieren

Der Umwelt scheint es, als seien Menschen, die besonders belastbar waren plötzlich körperlich und seelisch ausgebrannt sind. Ein fataler Irrtum, denn Burn-out verläuft vielschichtig. Wer die ersten Anzeichen rechtzeitig wahrnimmt, der kann aktiv werden, bevor er handlungsunfähig zusammenbricht. Stress ist der Auslöser. Aus dem positiven Stress, der uns einst antrieb — dem Eustress — ist ein schädlicher Faktor geworden. Dysstress macht krank.

Immer mehr Menschen brechen unter Überbeanspruchung zusammen. Psychische Erkrankungen nehmen in Deutschland zu. Mittlerweile werden nach Angaben der Techniker Krankenkasse bei jedem fünften Berufstätigen psychische Störungen diagnostiziert. Die Verordnungsmenge von Antidepressiva stieg in den letzten vier Jahren um 41 Prozent an. Hohe Anforderungen am Arbeitsplatz und die ständige Erreichbarkeit, wachsender Termindruck und eine Mail- und SMS-Flut führen nicht selten zu chronischer Erschöpfung.

Es gibt viele Symptome

Das, was sich als Burn-out zeigt, ist eine Belastungsreaktion oder Anpassungsstörung, wie Prof. Dr. Wolfgang Senf es bezeichnet. Der Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Essen behandelt fast täglich Menschen in der Ambulanz, die mit der typischen Symptomatik zu ihm kommen: Ihnen ist alles zu viel geworden, oft leiden sie unter konstanter Übermüdung, sind lustlos, innerlich aber angetrieben. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Rücken- oder Kopfschmerzen, Impotenz — all das sind psychosomatische Beschwerden, die hinzukommen können und für die mancher Arzt zunächst keine Ursache finden will. Am Ende zeigt sich der Zusammenbruch in emotionaler Erschöpfung. Man ist reizbar, kann Aufgaben schwer planen, nicht mehr richtig schlafen, sich schlicht nicht mehr entspannen. Hier finden Sie die Phasen des Burn-out im Überblick.

Das "Burnout- Syndrom" ist ein andauernder und schwerer Erschöpfungszustand, der durch dauerhafte beruflich bedingte Beanspruchung auftritt und der seelische als auch körperliche Beschwerden nach sich zieht. Man kann sich schlicht nicht mehr erholen: Der Akku ist nicht nur leer, er kann auch nicht mehr aufgeladen werden. "Die Ursachen hierfür können in der Person begründet sein, liegen aber mehr in den Arbeitsbedingungen", erklärt Prof. Dr. Wolfgang Senf. Oft ist es eine Mischung aus beidem. Häufig trifft es die Menschen, die bei der Arbeit besonders hohe Ansprüche an sich stellen. Die Betroffenen haben die Fähigkeit verloren, nach Arbeitsschluss innerlich Abstand zu gewinnen.

Alles scheint wie eine verkehrte Welt. Menschen, die zuvor hoch belastbar waren und sich besonders engagierten und auch für Kollegen immer ein offenes Ohr hatten, sind all das mit einem Mal nicht mehr. Sie brechen schier unter eigenen Ansprüchen und der überdimensional hohen beruflichen Belastung zusammen. Wolfgang Senf hält darum den Begriff "Burn-out" für unscharf. Er weckt die Assoziation, der Mensch, der daran leide, sei schuld.

Wie ein Hochspringer, der die Latte reißt

Um zu erklären wie es wirklich ist, benutzt er das Bild des Hochsprungweltmeisters: Der springt locker über jede Hürde. Dann aber kommt der Tag, an dem die Latte so hoch liegt, dass er nicht mehr herüberkommt. Er reißt sie und verzehrt sich nach der scheinbaren Niederlage in Selbstvorwürfen. "Er denkt, es sei sein Problem. Er denkt, er habe Schuld an der Sache. Wenn man die Situation aber nüchtern betrachtet, stellt man fest, dass die Latte einfach zu hoch lag und das niemand hätte schaffen können", erklärt der Essener Psychotherapeut.

Diese Bild hat er tausendfach in seinen Sprechstunden zur Erklärung herangezogen. Denn es macht plastisch deutlich, was mit dem Betroffenen passiert ist: Derjenige, den es trifft, hat seine Ressourcen überstrapaziert — und das dauerhaft. "Er ist nicht psychiatrisch krank", betont Senf. Das sei die große Angst der Betroffenen, die an der Anpassungsstörung leiden. Die Überbeanspruchung von Menschen zeigt sich da nicht zum ersten Mal. Sie hat sich schleichend angebahnt. Wer die ersten Symptome übersieht, dem lässt der endgültige Kurzschluss keine andere Wahl mehr, als eine Therapie zu beginnen.

Nicht nur Sache der Medizin

"Es sind nicht nur die Mediziner, die sich mit der Erkrankung Burn-out beschäftigen müssen", betont Wolfgang Senf. Es geht die Gesellschaft an, die Politik ist mit Lösungsansätzen gefragt und die Unternehmen mit Unternehmenskulturen, die die Mitarbeiter gesund bleiben lassen. Im März geht es in Essen beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie darum, auch interdisziplinär den Bogen zu spannen. "Psychosoziale Krisen werden zu einer wachsenden Bedrohung für Gesellschaft und Wirtschaft", erklärt Wolfgang Senf im Vorfeld der Tagung. Besonders junge Menschen seien Leidtragende und Betroffene des Burn-out-Syndroms. "Psychotherapeuten können die chronisch erschöpften Patienten zwar wirksam behandeln. Sind diese jedoch zurück im Arbeitsleben den gleichen Belastungen ausgesetzt, riskieren sie erneut einen Burnout", gibt Professor Senf zu bedenken.

Burnout- Ursachen auf der Seite der Arbeitgeber sind so zum Beispiel: Hoher Leistungsdruck, Eintönigkeit der Arbeit, zu viele Vorschriften, die den Gestaltungsspielraum des Arbeitnehmers einengen, sowie fehlende Unterstützung und Anerkennung vom Vorgesetzten oder von Kollegen. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers spielt eine große Rolle, so weiß auch Jörg Feldmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua): "Unternehmen entlasten Mitarbeiter oft nicht ausreichend oder geben ihnen zu wenig Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeit."

Was Arbeitgeber tun können

Mehr und mehr versuchen darum Arbeitsmediziner, Berufsgenossenschaften, aber auch Krankenkassen, Unternehmen dabei zu helfen, Gesundheitsförderung groß zu schreiben. Denn jeder zehnte Fehltag bei Berufstätigen geht auf Erkrankungen der Psyche zurück, so belegen aktuelle Zahlen der Allianz. "Darum ist es wichtig, präventiv etwas zu tun", erklärt Michael Ertel, Mitarbeiter der Gruppe "Psychologische Belastungen" bei der Baua. Eine Langzeitstudie der Berterlsmann Stiftung und des Schweizer Instituts "sciencetransfer" habe gezeigt, dass Vorgesetzte das Burn-out-Risiko deutlich reduzieren können, wenn sie die Mitarbeiter besser unterstützen.

Im Grunde ist der Schutz der Mitarbeiter im Paragraf 5 des Arbeitsschutzgesetzes schon verankert. Auch psychische Faktoren gehören in die Reihe der gefährdenden Faktoren am Arbeitsplatz. Allerdings seien diese schwieriger zu greifen als Lärm oder Arbeitszeiten, erklärt Ertel.

Lange Wartezeit auf Therapieplatz

Erschwerend kommt hinzu, dass den Betroffenen oft erst zu spät geholfen wird. "In der Hälfte der Fälle dauert es im Schnitt fünf Jahre, bis der Hausarzt die richtige Diagnose stellt und die Therapie eingeleitet werden kann", erklärt Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender der KKH-Allianz. Die durchschnittliche Wartezeit für eine Psychotherapie betrage laut einer Studie der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung zweieinhalb Monate. Im akuten Fall haben Betroffene darum kaum eine andere Wahl, als zunächst eine der psychosomatischen Ambulanzen aufzusuchen. Helfen können aber auch psychosomatische Fachärzte und Psychiater. Hier finden Sie Symptome, besonders gefährdete Berufsgruppen und die Phasen des Burn-outs im Überblick.

(wat)
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