Theaterdonner-Show in Gelsenkirchen Robbie Williams hat eine Entschuldigung verdient

Gelsenkirchen · Gleich beim ersten Lied ist eine Entschuldigung fällig: Man hatte vor Konzertbeginn nämlich gemutmaßt, das werde vielleicht nicht mehr so toll wie früher, die jüngsten Alben dieses Künstlers waren ja eher arm an Einfällen und Ideen, und außerdem ist einfach zu viel passiert seit der großen Zeit.

Aber diese Überlegungen sind Quatsch, sie sind doof und gemein, das sieht man, als er vom höchsten Punkt der mächtigen Bühne an Seilen herunterschwebt, als er etwas ruft, das man nicht versteht, weil 50000 Fans die Worte einfach niederbrüllen.

Der 39-Jährige tut schließlich, was er immer tut, wenn er einen Auftritt eröffnet, er singt "Let Me Entertain You", er wirft sich den Leuten zu Füßen, an seiner Jacke glitzern die Pailletten, das Stroposkop zerreißt den gelben Bühnenebel.

Das ist umwerfend, Entschuldigung, das ist: Robbie Williams.

Seit sechs Jahren war Robbie Williams nicht mehr auf Solo-Tournee, und was man von den ersten englischen Auftritten nach so langer Zeit hörte, klang sagenhaft: Vier Mal ein volles Wembley-Stadion in London, 300.000 Menschen.

Tatsächlich legt es Williams bei seiner Rückkehr auch in der Arena Auf Schalke auf Überwältigung an. Die Bühne ist so überkandidelt, dass sie in ihrer Absurdität und Bescheuertheit schon wieder lustig ist: Ein gewaltiges Hologramm mit dem Konterfei Williams' schmückt es, darüber laufen Projektionen, psychedelische Muster und Zeichnungen von Mädchen , die in Hamburger beißen.

Immer wenn man meint, das ist zu viel, explodiert etwas

Darunter ist ein Balkon angebracht, der in zwei Stunden aber nicht einmal benutzt wird. Ständig ruckeln meterhohe Büsten von Williams auf Schienen herein, Williams springt hinauf, lässt sie wie Schiffsschaukeln hin und her schwingen, fährt bis ans Ende der beiden Stege, die weit ins Publikum reichen, streckt den Po heraus, zwinkert, zieht Grimassen.

Aus dem Kopf der Figur zischen Flammen im Takt der Musik, manchmal spritzt aus dem Mund Wasser auf die Fans in den ersten Reihen, und wenn man gerade denkt, dass das jetzt aber alles ziemlich viel ist, explodiert irgendwo etwas, und goldene und rote Luftschlangen fallen auf das Publikum. Oder goldene und rote Ballons.

Coolness und Kitsch

Es gibt von Robbie Williams ein Best-of-Album, darauf sind 39 Titel, und mindestens 30 davon vereinen all das, was britische Popmusik so wunderbar macht: Coolness und Kitsch sind ideal ausbalanciert, Lässigkeit und Dringlichkeit ebenfalls, und vorgetragen werden die Songs von einem gewieften Charmeur, der vor zehn Jahren das internationale Ideal von Männlichkeit war, einem sarkastischen Großmaul, das so herzlich wie arrogant ist und vor allem: den Weg zu den Sternen kennt.

Die besten Momente dieses Abends sind denn auch jene, in denen Williams die alten Hits rückblickend interpretiert, als gereifter, augenzwinkernder Star, als melancholischer Schalk. Williams kokettiert mit seiner langen Abwesenheit, mit den Geschichten, die in den bunten Blättern standen und von Suff, Depression und Therapie handelten. "Liebt ihr mich denn noch?", fragt er, und die Antwort ist eindeutig. Er habe 2006 aufgehört aufzutreten, sagt er, weil er "soooo einsam" gewesen sei. Alle rufen "Ooooh!" und darauf Williams: "Aber jetzt bin ich wieder froh".

Wie Elvis' pummeliger Stiefsohn

Er steht da und sieht aus wie der pummelige Stiefsohn von Elvis, er schwitzt, und seine Sakko kneift, und dann singt er "Come Undone" und "Strong", und man wünscht sich, er würde über die volle Konzert-Distanz diese Rolle spielen, die des gefallenen, aber geläuterten Gefährten.

Allzu billig sind indes die Rückfälle in den Bier-Proll-Humor der frühen Tage. Die deutschen Sätze mit den Hihihi-Pointen oder die Nummer mit dem Mädchen, das er auf die Bühne holt: Er führt sie an der Hand und fragt die Menge, was man denn glaube, weshalb er gerade diesen Fan ausgewählt habe. Er verrät dann natürlich den Grund, man kommt rasch darauf, wenn man sich vorstellt, was ein Junggesellausflug am frühen Sonntagmorgen auf Mallorca auf diese Frage antworten würde, und diese Zotigkeit wirkt nun nicht mehr lässig oder rotzig oder witzig, sondern bemüht.

Übermotiviert, aber gut

Das erste Drittel des Abends ist druckvoll, übermotiviert, würde man beim Fußball sagen, aber gut. Die Höhepunkte sind das mit äußerster Dringlichkeit vorgebrachte "Bodies" und das Kumpel-Duett mit Jungstar Olly Murs, der den Part von Kylie Minogue in "Kids" übernimmt. Wiliiams bringt "Be A Boy" mit den programmatischen Zeilen "They said it was leaving me / The Magic was leaving me / But I Don' t Think so". Er hält das Mikrofon ins Publikum und es ruft: "We don't think so!" Es folgt ein feiner Akustik-Teil, und danach wird es funky: "Candy" und "Rock DJ" werden von der elfköpfigen Band in schwüle Disconummern verwandelt, für die sich Williams eine goldene Jacke anzieht.

Die Zugaben schließlich sind so groß, als sei es auf ewig 2002: "Feel", "She's The One", "Angels". Die Powerballade ist seine Kernkompetenz, das Publikum ein leuchtendes Display, alle glücklich. Das aktuelle Album von Robbie Williams heißt "Take The Crown". Man kann das als Aufforderung jenes Mannes verstehen, der als größter Entertainer Europas gilt: Nehmt sie euch! Aber als jemand ihn eine aufblasbare Krone auf die Bühne wirft und Williams sie aufsetzt, sieht man: Sie gehört ihm, und sie passt noch immer sehr gut.

(RP)
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