"Extrem laut und unglaublich nah" auf der Berlinale Großes Gefühlskino von Stephen Daldry

Berlin · Oskar ist neun, als er "den schlimmsten Tag aller Zeiten" erlebt. Es ist der 11. September 2001, sein Vater ist bei einem Termin im World Trade Center. Als er begreift, dass er sterben muss, bleiben ihm noch Minuten, um daheim anzurufen. Ein bewegender Film.

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Er hinterlässt Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Doch was als letztes Zeichen der Liebe gemeint war, entwickelt sich für Oskar zur Bürde. Der Junge ist ein seltsames Kind, kämpft gegen Ängste, Hemmungen, Neurosen. Der Vater liebte ihn mit all seinen Seltsamkeiten, dachte sich für ihn liebevoll Schnitzeljagden aus. Doch dieser Mensch fehlt nun. Als Oskar in den Sachen des Vaters einen Schlüssel entdeckt, macht er sich auf die Suche nach dem Schloss. Er will noch einmal den Spuren des Vaters folgen. Noch ein wenig mit ihm in Kontakt bleiben.

Der britische Theater- und Filmregisseur Stephen Daldry hat schon einmal die Sehnsuchtsgeschichte eines Jungen erzählt. Die von Billy Elliot, dem Bergarbeiterkind, das gegen den Willen des Vaters sein Talent zum Balletttanz entdeckt. Diesmal hat er sich den Roman "Extrem laut und unglaublich nah" von Jonathan Safran Foer vorgenommen und erzählt von einer innigen Vater-Sohn-Beziehung, die jäh zerrissen wird. Daldry gelingt auch diesmal ein anrührendes Jungenporträt. Er hat mit Thomas Horn einen hervorragenden Kinderdarsteller, der sich scheinbar mühelos in die komplizierte Gefühlslage seiner Figur einfindet. Denn Oskar ringt nicht nur mit seiner Trauer, der Sehnsucht nach dem Vater, sondern auch mit Schuldgefühlen, die er lange niemandem eingestehen kann. So ist die Geschichte doppelt tragisch — sie erzählt aus der unschuldigen Perspektive eines Kindes von den traumatischen Folgen des 11. September und zugleich von der Not, nicht trauern, nicht loslassen zu können.

Es ist eine starke Geschichte. Doch weil Daldry alles daran setzt, daraus großes Gefühlskino zu machen, verfehlt er den skurrilen, zutiefst menschlichen Ton der Literaturvorlage. Oskar ist im Film kein verschrobener, wirklich neurotischer Junge, sondern ein Bilderbuchkind mit ein paar niedlichen Auffälligkeiten. Es kostet nichts, diesen Oskar zu lieben. Er ist zu gefällig, wie der gesamte Film zwar zu Tränen rührt, es darauf aber auch spürbar anlegt.

Bei der Berlinale läuft der Film im Wettbewerb außer Konkurrenz. Er ist in den USA wegen des Oscar-Rennens schon angelaufen. Das hat sich bereits ausgezahlt, denn Max von Sydow ist in der Nebenrolle als stummer Großvater nun für einen Oscar nominiert. Sein Auftritt ist grandios. Er spielt einen verstörten Greis, der mit seinem Trauma gealtert ist und darüber seine Sprache verlor. Sydow braucht keine Worte, um das zu spielen. Vor allem übertreibt er es auch mit der Mimik nicht. Er deutet alles nur an, so wie das nur die großen alten Schauspielmeister können. Die beiden Stars des Films, Sandra Bullock und Tom Hanks als Oskars Eltern, wirken dagegen fast blass.

(RP/top)
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