Düsseldorf Ari Folmans Trip in die Spaß-Diktatur

Düsseldorf · In "The Congress" kombiniert der israelische Regisseur auf meisterliche Weise Spielfilm und Animation.

Zeichentrick kann eine Kunstform sein, um von der Wirklichkeit jenseits der Realität zu erzählen, vom Unterbewussten zum Beispiel. Der israelische Regisseur Ari Folman hat das meisterlich getan, als er in "Waltz with Bashir" von seinem Einsatz als junger Soldat im Libanonkrieg erzählte. Er wählte damals die Zeichentrickform, um den Albtraum des Krieges ins Bild zu setzen. Da schwammen dann junge Soldaten vor blutrotem Himmel durch das Meer, um in aller Stille an der libanesischen Küste an Land zu gehen. Noch erschien den Männern der Krieg wie ein Abenteuer, doch tief in ihrem Innern saß schon die Angst, färbte den Himmel rot, brannte diese Erinnerung in das Gedächtnis der Schwimmer. Folman schöpfte aus den eigenen, verstörenden Erinnerungen die Bilder für seinen Film und schenkte dem Kino eine neue Form des Erzählens: Die animierte Dokumentation, die von der Wirklichkeit handelt – und von den Schichten darunter, dem Verdrängten, dem ins Vergessen Geschobenen, dem Traumatischen, das doch hineinwirkt in die Wirklichkeit.

Nun hat sich dieser bemerkenswerte Filmemacher den Science-Fiction-Klassiker "Der futurologische Kongress" des polnischen Autors Stanislaw Lem vorgenommen und dessen Kritik am totalitären System des Kommunismus transponiert in eine Kritik am Totalitarismus der Unterhaltungsindustrie. Wieder nutzt Folman den Zeichentrick, um Unwirkliches ins Bild zu setzen – diesmal die Zukunft. Er überschwemmt den Zuschauer mit psychedelischen Bildern, die vor fantasievollen Details zu bersten scheinen. So entwirft er eine Welt, in der die Fiktion total geworden ist. Die Menschen inhalieren Drogen und katapultieren sich so in ein Reich der Illusionen, in dem sie sind, was sie sich erträumen. Es ist eine Welt ohne Alter, ohne Hässlichkeit, ohne Krankheit – aber eben auch ohne Realität. Indem sich der Mensch von den Zumutungen der Endlichkeit befreit, gibt er auch sein Menschsein auf, er wird zur Marionette der Unterhaltungsindustrie, verliert sich in deren Traumangeboten, wird zur Figur in einem Computerspiel, das kein Ende nimmt.

Doch Folman springt nicht gleich in diese gezeichnete Zukunft. Erst sind seine Bilder real, und er erzählt in naher Zukunft, wie die Machtergreifung der Unterhaltungsindustrie begonnen hat: Die Schauspielerin Robin Wright wird da zu einem Studioboss geladen, der ihr vorhält, wie schlecht es nach einigen Fehlentscheidungen und Drehpausen um ihre Karriere steht und ihr einen mephistophelischen Vertrag anbietet: Das Studio will die Schauspielerin scannen, jede denkbare Emotion digital einspielen und fortan mit einer alterslosen Robin Wright nach Marktbedarf Filme zusammenschneiden. Die Schauspielerin soll im Gegenzug ihre Rechte an sich selbst abtreten, unterschreiben, dass sie nie wieder irgendwo als reale Schauspielerin auftreten wird – ihre Seele verkaufen.

Da verschwimmen Realität und Fiktion, denn Robin Wright hat tatsächlich einige Karriereknicke hinter sich, und zudem versuchte sie ihr Comeback 2007 als Figur in dem computeranimierten Fantasyfilm "Beowulf". Folmans Entwurf einer Filmindustrie, die nur noch mit digitalen Figuren operiert und nicht mehr mit Schauspielern samt deren Ticks und Schwächen, denkt also nur die aktuellen Möglichkeiten fort.

So formuliert Folman seine Skepsis gegenüber den Überwältigungsstrategien des Kinos. Der Animationsfilm hat mit seinen Figuren ja schon immer ganz nach Belieben verfahren können. Das war so lange unproblematisch, wie animierte Figuren gezeichnet aussahen, also nicht vorgaben, real zu sein. Zeichentrick der alten Schule ist eine Verfremdung der Wirklichkeit, die Distanz verschafft und dem Betrachter signalisiert, dass er allein das Hirngespinst der Macher betrachtet. Darum eignet sich der Trickfilm ja so gut, um innere Vorgänge wie Albträume oder Angstzustände ins Bild zu rücken. Doch je realer animierte Figuren werden, desto mehr schwindet der Verfremdungseffekt, wird der Zuschauer mit Bildern und Gefühlen überflutet, die bruchlos in seine Wirklichkeit passen – und sein Denken ungefiltert, auch unbewusst beeinflussen.

Es geht Folman also um das Bewusstsein der Betrachter und um die Macht der Unterhaltungsindustrie, ihre Werte unhinterfragt in das Denken der Konsumenten zu implementieren. Wer makellose Schönheit oder inszeniertes Glück in Werbung, Serien, Filmen konsumiert, ohne sich den Sinn für reale Maßstäbe zu bewahren, kann nur dauerhaft unzufrieden zurückbleiben. Das findet dann Ausdruck in neuen Zivilisationskrankheiten wie Mager- oder Computerspielsucht, weil Menschen sich auf Modelmaß hungern oder sich für die Flucht vor der Wirklichkeit entscheiden und lieber immer öfter in der schönen neuen Welt des Digitalen verschwinden. Für diese Art des Eskapismus bedarf es nicht einmal der Drogen, die Folman den Menschen in seinem Film noch verabreicht. Der Übergang in die Spaß-Diktatur geschieht fließend.

Doch es gibt Mahner wie Folman, die jenseits des Mainstream ihre Filme drehen. Und es gibt tatsächlich Menschen, die ihnen zusehen – und verstehen. llll

(RP)
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