Der Flirt mit einem Tumor

Péter Esterházy schrieb ein "Bauchspeicheldrüsentagebuch".

"Bauchspeicheldrüse ... ein schönes Wort, wenn man es mit Gefühl, gut rhythmisiert ausspricht", notiert Péter Esterházy in sein Tagebuch. Mit einem leichten Schmerz unterhalb des rechten Rippenbogens fing es im April 2015 an. Heiter fragt er den behandelnden Arzt, ob es sich um Krebs handle? Der bejaht: "Bauchspeicheldrüsenkrebs, mit Metastasen in der Leber." Zunächst kann der Autor nicht glauben, dass von ihm die Rede sein soll.

Er, der nie ein Tagebuch führte, versucht, das "Unheil am Schlafittchen zu packen. Es unter das Joch der Sätze zu zwingen." Wohlwissend, dass dieses von ihm "Bauchspeicheldrüsentagebuch" genannte Werk wohl sein letztes sein wird. Vom 24. Mai 2015 bis zum 2. März 2016 führt der Friedenspreisgewinner des Deutschen Buchhandels von 2004 das Tagebuch. Dann bricht es ab. Für die Zeit bis zu seinem Tod am 14. Juli findet sich kein Eintrag mehr. Ob es ihm nicht möglich war, weiter zu schreiben oder ob er sein Projekt verworfen hat, bleibt unklar. Wie man überhaupt sagen muss, dass dem Band ein Kommentar und ein Nachwort gutgetan hätten.

Mit Galgenhumor begegnet der Autor dem Schicksal. Mit dem Tumor, der für ihn ohne Zweifel weiblich ist und den er nur "Bauchspeichelchen" nennt, flirtet er, wird regelrecht intim: "Wie einsam das Fräulein da drinnen wohl ist. Dabei haben wir großartigen Sex, eine Vereinigung, bei der man nicht sagen kann, wo ich bin und wo sie ist." Der Ärztin signiert er eines seiner Bücher mit "noch am Leben". Als die sagt, im Hospital könne er seine "Heiterkeit einpacken", entgegnet er, "dass die Kommunisten auch durch das Lachen besiegt wurden, durch das Auslachen, und dass das auch mit dem Krebs funktioniere". Und nachdem er auf der Waage war, notiert er: "Ich wiege 83,4 Kilo, also habe ich abgenommen, das sind 10 Kilo weniger seit Weihnachten. Ohne Krebs wäre das super."

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Auch wenn Esterházy, wie er schreibt, der ersten Chemotherapie mit derselben "aufgeregten Fröhlichkeit" entgegengeht, die er früher als junger Mann vor Fußballspielen verspürte, so verharmlost sein Tagebuch nichts. Vom Haarausfall, den Hitzewallungen, dem Verlust des Geschmackssinns und den Übelkeitsanfällen ist ebenso die Rede wie von seiner misstrauischen Selbstbeobachtung und der andauernden Lustlosigkeit, die ihn immer wieder vom Schreiben abhält. Obwohl der Tod bevorsteht, wird die Zeit ihm zu einer "uninteressanten, banalen Sache". Ein Tag nach dem anderen verstreicht mit Nichtstun. "Ich kann meine Schwäche als Alibi verwenden." Die Aufzeichnungen sind ein Sterbebuch, das das Unbegreifliche zu begreifen sucht - die Endlichkeit des Menschen.

(RP)
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