José Luis Castrillo "Wir bauen das Angebot auf dem Land aus"

Der Tarif-Vorstand des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) über den Testlauf fürs E-Ticket, den Wegfall weiterer Linien und das Azubi-Ticket.

Vor zwei Jahren hat der VRR angekündigt, dass ein kilometergenaues E-Ticket für Smartphonenutzer entwickelt werden soll. Bis heute ist es immer noch nicht da. Was ist da los?

Castrillo Das Thema innovative Tarifentwicklung kann man nicht mal schnell nebenbei angehen. Es ist seitdem wahnsinnig viel passiert: Wir haben das aktuelle Tarifsystem vereinfacht, indem wir die Preisstufen auf vier reduziert haben. Wir haben die Regeln für die Kurzstrecken vereinheitlicht und neue Tickets eingeführt - etwa das Happy-Hour-Ticket. Zeitgleich arbeiten wir intensiv am E-Ticket. Insbesondere beim Thema Datenschutz haben wir uns viel Zeit genommen, das Thema konzeptionell zu erarbeiten. Wir sind einer von Europas größten Verkehrsverbünden, da bedürfen Vorarbeiten und Entscheidungen ihre Zeit.

Was wird denn so kritisch von den VRR-Gremien gesehen?

Castrillo Da wir beim E-Ticket kilometergenau abrechnen, wird das System insgesamt gerechter. Ob Sie nun 14 Kilometer in der Stadt oder auf dem Land fahren, macht dann keinen Unterschied mehr. In vielen Fällen führt das aus Kundensicht zu Verbesserungen, in einigen Fällen wird es aber teurer. Genau darüber diskutieren die Gremien intensiv. Aber wir kommen voran.

Wie sieht es denn mit der praktischen Umsetzung des E-Tickets aus?

Castrillo Das System ist fertig konzipiert. Im Sommer starten wir einen technischen Feldtest über acht Monate mit mindestens 3000 Probanden. Sechs Verkehrsunternehmen, darunter die Rheinbahn und die Stadtwerke Neuss, haben angekündigt, zusätzlich eigene Probanden einzusetzen. Im Sommer 2018 werden wir dann entscheiden, ob wir das System im ganzen Verbund einführen.

Wie wollen Sie angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen im ländlichen Raum kostendeckend arbeiten?

Castrillo Wir stehen zwar noch ganz am Anfang, aber in solchen Regionen muss man prüfen, ob ein flexibleres Angebot besser ist als ein starrer Stundentakt.

Also das Streichen weiterer Linien und als Ersatz ein Anruf-Sammel-Taxi?

Castrillo Es geht um nachfrageorientierte und nachhaltig finanzierbare Mobilität. Tatsächlich bauen wir unser Schienenpersonennahverkehr-Angebot im ländlichen Raum sogar aus - etwa mit der Übernahme der alten Bergbaustrecke von Moers nach Kamp-Lintfort. Andererseits gibt es schwierige Regionen, in denen niemandem geholfen ist, wenn das dortige Verkehrsunternehmen zu starren Zeiten eine Route abfährt, die schlecht nachgefragt wird. Kein Verantwortlicher hat ein Interesse daran, nicht nachfrageorientierte Verkehrsangebote aufrecht zu erhalten. Für solche Regionen sind flexiblere und individuellere Modelle, zum Beispiel On-Demand-Busse, eine denkbare Option. Mit einer App ließe sich da sehr viel regeln.

Wirft man schon heute einen Blick in den App-Store, stößt man auf viele unzufriedene Kunden, die über die VRR-App "Companion" meckern.

Castrillo Diese schlechten Bewertungen sind ärgerlich. Die App wird von über 800.000 Kunden täglich genutzt. Natürlich kann es da zu Problemen kommen, aber die treten nur punktuell und nicht flächendeckend auf. Wir bringen Anfang bis Mitte April aber eine neue Version der App auf den Markt, die wir jetzt über 18 Monate entwickelt haben.

Wen wollen Sie mit der neuen App ansprechen?

Castrillo Die Marktforschung hat gezeigt, dass heute vor allem die Stammkunden sie nutzen. Dabei kennen die eigentlich ihre Routen. Gedacht war die App ursprünglich für den Gelegenheitskunden, der nur Start und Ziel eingeben und sich mit dem Rest gar nicht detailliert belasten will. Das greift die neue Version stärker auf.

Was wird also anders?

Castrillo Wir haben das Design viel schlanker gestaltet - die antiquierte Datenbank-Anmutung, die viele verwirrend fanden, verschwindet. Außerdem können Sie sich individuelle Favoriten anlegen - etwa die Fahrt ins Büro, nach Hause und so weiter. Die Hauptneuerung ist aber, dass wir den Ticketshop integrieren. Bislang benötigen Sie zwei Apps, die Handy-Ticket-App und die VRR-App. Das gibt es künftig aus einem Guss. Bis Ende Mai werden wir für die Stammkunden zudem einen Tarifcheck einführen. Die App signalisiert dann, wenn sich die Kunden außerhalb des Gültigkeitsbereiches ihres Tickets bewegen wollen. Das Zusatzticket kann dann gleich hinzugebucht werden.

Und wohin geht die Reise langfristig?

Castrillo Wir wollen die Datenqualität verbessern. 80 Prozent aller Fahrzeuge werden heute in Echtzeit erfasst. Das wollen wir ausbauen. Auch bei Störungen und Baustellen müssen wir dem Kunden in Echtzeit mitteilen, wenn er betroffen ist. Langfristig muss es auch möglich sein, dass der Kunde per Ampelsystem in der App angezeigt bekommt, ob eine Rolltreppe und ein Aufzug in einer Station funktioniert.

Geht das nicht schon heute?

Castrillo Wir haben leider erst an der Hälfte aller Stationen entsprechende Systeme. Die Deutsche Bahn ist bei den von ihr betreuten Haltestellen schon recht weit, und auch einige kommunale Verkehrsunternehmen sind dort aktiv. Wir müssen auch dort eine deutlich höhere Abdeckung hinbekommen.

Wenn der Aufzug nicht funktioniert, darf der Betroffene eine Station weiterfahren, sich ein Taxi nehmen und Ihnen die Kosten berechnen?

Castrillo Nein, eine solche Mobilitätsgarantie gibt es nicht.

Wie intensiv wird das Angebot genutzt, bei verspäteten oder ausgefallenen Zügen auf ein Taxi auszuweichen und Ihnen das zu berechnen?

Castrillo Das wird durchaus genutzt: 2016 wurden im VRR 7951 Anträge zur Mobilitätsgarantie gestellt. 95,6 Prozent davon wurden bewilligt. Die Erstattung insgesamt belief sich auf 204.000 Euro.

Im Raum steht die Forderung, dass es ein landesweit geltendes Azubi-Ticket geben soll. Guter Plan?

Castrillo Es gibt ja schon ein nach Preisstufen untergliedertes Azubi-Ticket, das 50 Prozent der Azubis nutzen. Wir diskutieren derzeit im VRR, dieses "Young-Ticket" verbundweit gelten zu lassen. Darüber fällt die Entscheidung voraussichtlich im Sommer. Den ursprünglichen Starttermin zum 1. August werden wir nicht mehr schaffen. Zeitgleich kommt aus dem politischen Raum die Forderung nach einem NRW-weit gültigen Ticket - analog zum Semester-Ticket mit entsprechenden Kosten, die das Land tragen müsste. Das ist aber noch Zukunftsmusik und würde wohl erst nach der Landtagswahl konkreter.

KLAUS PETER KÜHN UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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