Vor Beginn der Olympischen Sommerspiele London in Terror-Sorge

London · Bei mehreren Razzien haben bewaffnete Einsatzkräfte der Polizei gestern in der britischen Hauptstadt sechs Menschen unter Terrorismusverdacht festgenommen. Ein Teil der Zugriffe der Sicherheitskräfte erfolgte offenbar in einem Wohngebiet in der Nähe des olympischen Parks.

Olympia 2012: Ringe schwimmen auf der Themse
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Die Warnung kam von höchster Stelle: "In den Hinterzimmern, in den Autos und in den Straßen werden Gespräche über neue Terrorangriffe geführt", sagte im Juni der Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI 5, Jonathan Evans, in einer öffentlichen Rede. "Ein besonders attraktives Ziel ist Olympia", fügte der Geheimdienstler hinzu, der für die Dauer der Spiele in London eine Urlaubssperre in seiner Organisation mit 3800 Mitarbeitern verhängt hat.

Die britische Regierung hält trotz dritthöchster Terrorwarnstufe das weltgrößte Sportfest für relativ sicher, dennoch stellt sie vor der nahenden Olympia-Eröffnung ihre Wachsamkeit unter Beweis. Die Metropolitan Police (Met) verhaftete gestern in der Hauptstadt fünf Männer und eine Frau, die im Verdacht stehen, islamistische Anschläge vorbereitet zu haben. Es war bereits die dritte derartige Aktion seit Ende April.

Die Verhaftungen waren angeblich das Ergebnis einer mehrwöchigen Überwachungsoperation der Met, die einen direkten Zusammenhang mit Olympia verneint. Laut der "Times" wohnten jedoch drei der Verdächtigten in der Nähe des olympischen Dorfes im Stadtteil Stratford. Einer von ihnen sei ein Ex-Polizist, ein zweiter Verdächtiger zum Islam konvertiert. In seiner Rede hatte MI 5-Chef Evans seine Landsleute speziell vor den "einheimischen Terroristen" gewarnt, die nach Syrien oder Libyen reisten, um dort das Töten zu lernen. Nach seinen Angaben planen "einige Hundert" dieser in Großbritannien aufgewachsenen Islamisten Anschläge in der Heimat.

Premier David Cameron wird in den drei Wochen der Spiele eine schwere Last der Verantwortung tragen: Er muss dann möglicherweise binnen weniger Minuten entscheiden, ob ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen werden soll. "Wir haben das geübt. Ich selbst bin bereit für solche Situationen", erklärte Verteidigungsminister Philip Hammond. In acht Tagen werden die Militärs das Kommando im süd-englischen Luftraum von der zivilen Flugüberwachung übernehmen. Sie wollen den Himmel über London und den angrenzenden Grafschaften für alle Teilnehmer des Luftverkehrs mit Ausnahme der vorher genehmigten Flüge sperren. Die Briten hatten zuletzt im Zweiten Weltkrieg solche drastischen Vorkehrungen ergriffen. Dazu gehört auch die spektakuläre Stationierung von Flugabwehrraketen auf den Dächern Londoner Wohnhäuser, die am Dienstag offiziell verkündet wurde. Die Regierung hatte seit dem Frühjahr 100 mögliche Einsatzorte in der Stadt überprüft und sechs davon ausgewählt.

Das ist noch nicht alles: Die Garnison der Festung London wurde durch vier "Eurofighter"-Abfangjäger verstärkt, die vom Ex-Militärflugplatz RAF Northolt alle Angriffe aus der Luft abwehren sollen. In Kürze wird im Olympia-Stadtteil Greenwich das größte Kriegsschiff des Landes ankern — die 208 Meter lange "HMS Ocean" mit acht Hubschraubern, die entlang der Themse patrouillieren werden.

Bei der größten Sicherheitsoperation des Königreichs in Friedenszeiten setzt die Polizei insgesamt 12 500 Beamte ein, die durch 16 000 private Kräfte und 13 500 Soldaten verstärkt werden.

Auch die Justiz ist in erhöhter Alarmbereitschaft. Nach neuen Regeln werden die britischen Gerichte die "olympischen Straftaten" in Rekordzeit von wenigen Stunden verhandeln können, manchmal auch nachts. Um Verzögerungen zu verhindern, sollen für Befragungen in solchen Blitzverfahren Videoschaltungen eingesetzt werden.

Wie groß die Nervosität in Großbritannien ist, zeigte eine weitere Meldung von gestern: Zunächst wurde befürchtet, dass auf einen Reisebus Richtung London ein Anschlag verübt werden sollte. In dem mit 48 Fahrgästen besetzten Bus war ein Passagier aufgefallen, als er eine Flüssigkeit in eine Tasche füllte, aus der dann Rauch aufgestiegen sein soll. Die Polizei stoppte den Bus, die Passagiere wurden noch an Ort und Stelle vernommen — es war ein Fehlalarm.

(RP/seeg/csi)
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