Eklat um Boykott der Holocaust-Gedenkstunde Zentralrat beklagt "Feindschaft gegen Juden"

Berlin (RPO). Das traditionelle Gedenken des deutschen Bundestages an die Opfer des Holocaust ist von einem Eklat überschattet worden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland boykottierte die Veranstaltung. Begründet wurde dies mit angeblicher Missachtung und steigendem Judenhass.

 Die Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag wurde vom Zentralrat der Juden boykottiert.

Die Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag wurde vom Zentralrat der Juden boykottiert.

Foto: AP, AP

Seit seiner offiziellen Einführung im Jahr 1996 erinnert der Gedenktag an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945. Bundespräsident Horst Köhler sagte, das Geschehene bleibe Teil deutscher Gegenwart, die Lehren aus der Vergangenheit gehörten "zum Fundament unseres Selbstverständnisses als Nation".

Zentralrat beklagt protokollarische Missachtung

Zentralrat-Generalsekretär Stephan J. Kramer erklärte auf AP-Anfrage, Vertreter wie die amtierende Präsidentin Charlotte Knobloch und deren Vorgänger Ignatz Bubis und Paul Spiegel seien noch nie als Überlebende des Holocaust auf der Tribüne des Bundestags begrüßt worden. Dieser Behandlung wolle man sich nicht mehr aussetzen.

Der Zentralrat beklagte zudem einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Dem "Tagesspiegel" sagte Kramer, es gebe eine "fortschreitend um sich greifende Feindschaft gegen Juden, mehr und mehr auch in der Mitte der Gesellschaft". Während des Gaza-Krieges habe "die Zahl der Hass-Mails an den Zentralrat um 40 Prozent auf 200 bis 300 pro Woche zugenommen".

"Wer sie angreift, greift uns alle an"

Vor den höchsten Repräsentanten des Staates, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesratspräsident Peter Müller, gedachte Köhler "der Juden, der Sinti und Roma, der Kranken und Menschen mit Behinderung, der politisch Andersdenkenden und der Homosexuellen und aller, die der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und den deutschen Raub- und Vernichtungskriegen zum Opfer fielen".

Es sei eine Schande, dass die Orte jüdischen Lebens von der Polizei "vor alten und neuen Extremisten geschützt werden müssen", sagte Köhler. "Stellen wir uns an die Seite unserer jüdischen Landsleute. Wer sie angreift, greift uns alle an", appellierte das Staatsoberhaupt.

"Holocaust bleibt immerwährende Warnung"

Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärte, der 27. Januar verbinde "die kommenden Gedenktage wie ein roter Faden, weil das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus jeden der kommenden Gedenktage begleiten wird - insbesondere den 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland".

Auf das Fernbleiben des Zentralrats der Juden gingen weder Lammert noch Köhler in ihren Reden ein. Dem "Tagesspiegel" sagte Lammert, er empfinde die Beschwerde, von der er aus der Presse erfahren habe, als "unverständlich und bedauerlich".

Der Behinderten-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion, Hubert Hüppe, erinnerte daran, dass Menschen mit Behinderungen zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus in Deutschland gehörten. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering erklärte, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus "mahnt uns, die Demokratie zu bewahren". Die Grünen riefen zum Widerstand "gegen Populisten mit fremdenfeindlichen Parolen", gegen neonazistische Schläger und rechtsextreme Parteien auf.

NPD-Kundgebung untersagt

Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Lothar Bisky, sagte, wenn immer weniger Zeitzeugen an den "Kulturbruch der Konzentrationslager" erinnern könnten, seien Stolpersteine, Geschichtsprojekte und der Widerstand gegen rechtsradikale Demagogen entscheidend.

Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg hielt am neuen Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten eine eigene Gedenkfeier ab.

Eine von der NPD geplante Kundgebung war vom Verwaltungsgericht Berlin auch wegen ihres Bezugs zum Holocaust-Gedenktag kurzerhand verboten worden. Eine weitere Veranstaltung für (den morgigen) Mittwoch sei genehmigt worden, teilte die Polizei mit.

(AP)
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