Berlin Wowereit ist ein Gefühl

Berlin (RPO). Klaus Wowereit bereitet sich auf seine dritte Amtszeit als Regierender Bürgermeister von Berlin vor. Das Ergebnis seiner Partei ist nicht berauschend, der Frontmann lässt sich dennoch feiern wie ein Rockstar. Der 57-Jährige scheint dem politischen Betrieb beinahe entrückt. Wähler trauen ihm fachlich kaum mehr zu als seinen blassen Konkurrenten. Wowereit passt einfach zu Berlin, sagen sie. Irgendwie.

Wahl in Berlin - Gewinner und Verlierer
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Um 18.33 Uhr tritt Klaus Wowereit vor seine Anhänger. Begleitet von krachender Disco-Musik schreitet der studierte Jurist zum Mikrofon. Er reckt die Arme hoch und versucht ein kleines Tänzchen. Sein Generalsekretär stellt Wowereit vor wie einen Rockstar. Die Menge tobt. Er habe die Wahlpartys der anderen Parteien im Fernsehen gesehen, berichtet der Wahlsieger. Die SPD-Party gefalle ihm irgendwie am besten. Der Jubel wird noch einmal stärker. Mit Wowereit feiern die Genossen gern.

Künast kämpfte, Wowereit schlenderte

Wowereit ist Berlin, Berlin ist Wowereit. Nie wurde das so deutlich, wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Seine Herausforderin Renate Künast von den Grünen machte Wahlkampf in Berlin. Scharfe Angriffe auf Rot-Rot, neue Konzepte gegen Mietwucher, Gesetze für faire bezahlte Arbeit, Umweltschutz in der Hauptstadt. Wenn Künast mit ihrem Tross durch die Viertel zog, machte sie Straßenwahlkampf im wahrsten Wortsinn.

Wowereit machte keinen Straßenwahlkampf. Wowereit, so beschreiben es Beobachter, schlenderte durch seinen Kiez. Schüttelte Hände, ließ sich von Damen im Seniorenalter drücken, hielt am Kuchenstand und lauschte den Geschichten der Berliner. Die Probleme der Menschen hörte er sich geduldig an, nickte mitfühlend, versprach sich darum zu kümmern. Dann schlenderte er weiter durch seine Stadt.

"Berlin verstehen"

Wowereits Plakatkampagne gab früh die Richtung vor. SPD-Plakate verzichteten weitgehend auf harte politische Inhalte. Die Motive zeigten Wowereit in seinem Berlin. Wowereit in einer Gruppe mit Jugendlichen. Drei Deutsche, ein Mädchen mit Migrationshintergrund, aufgenommen von einer Handykamera. Wowereit ist modern, Berlin sowieso. Wowereit ist Facebook.

Das Plakat zum Thema Kita-Politik zeigte den Regierenden in einer Gruppe süßer Kleinkinder. Ein Kind beißt Wowereit mit einer Stoffpuppe in die Nase. Der Bürgemeister lacht. "Berlin verstehen" steht auf diesen Plakaten, sonst nichts. So sieht sich Wowereit. Der Berliner, der die Stadt versteht und die Menschen kennt. Wowereit, der sich gerne schick anzieht, gerne mal schick feiern geht.

Bitte an seine Berliner

Als wenige Wochen vor der Wahl das Thema Autobrände aufkommt, wittern seine politische Gegner Morgenluft. Mangelder Einsatz wird dem Bürgermeister vorgeworfen. Sein Senat spare die Polizei kaputt. Die Grünen-Kandidatin fordert Hunderte Polizisten mehr für die Jagd auf die Brandstifter. Wowereit bleibt lange ruhig. Dann bittet er die Bürger seiner Stadt, seine Berliner, aufmerksam zu sein und der Polizei mit Hinweisen zu helfen. Künast kann mit ihrer Forderung nicht punkten.

Erwarten die Bürger in der hochverschuldeten Hartz-IV-Hauptstadt von Wowereit noch politische Lösungen? Die Analysen von Wahlforschern und Politikwissenschaftlern lassen daran zumindest Zweifel aufkommen. Denn die Berliner trauen Wowereits SPD nur wenig mehr zu als den anderen Kandidaten.

48 Prozent der Berliner skeptisch

Laut Forschungsgruppe Wahlen vertrauen beim Thema Bildung gerade einmal 23 Prozent der SPD. Kaum mehr als bei CDU und Grünen. 19 Prozent der Wähler glauben, das Wowereits die Kriminalität der Stadt erfolgreich bekämpfen kann. Die Mehrheit von 48 Prozent glaubt, dass Berlin eher schlecht auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist.

Die Genossen profitieren vor allem von der Schwäche der anderen Parteien. Nur 24 Prozent der Befragten vermuten die größte wirtschaftliche Kompetenz bei der CDU. 28 Prozent immerhin bei der SPD. Aber: Den größten Ausschlag gab der Faktor Wowereit. 59 Prozent glauben, dass Wowereit am besten von Kandidaten "zu Berlin passt". Von Renate Künast glauben dies sieben Prozent.

Wowereit kann Wahlen gewinnen

Wowereit, der Versteher. Wowereit, das Gefühl. Jetzt wird spekuliert, dass der Wahlsieger vom Sonntag Kanzlerkandidat der SPD wird. Denn Wowereit hat seinen potentiellen Mitbewerbern eine Kleinigkeit voraus: Er kann Wahlen gewinnen. Steinbrück und Steinmeier blieben diesen Beweis bisher schuldig.

Kann der Berlin-Versteher auch Deutschland verstehen? Wowereit verweigerte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Günther Jauch" die Aussage zu diesem Thema und verwies auf den Kanzler-Fahrplan der Genossen.

Dass Wowereit zumindest mit dem Gedanken spielt, gilt als sicher. Die Umzugswagen müssten nicht weit fahren. Aber will er wirklich Wahlkampf in München, Dortmund oder Kaiserslautern machen? Durch die Fußgänger zu schlendern würde dort wohl nicht ausreichen.

(RPO)
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