Gauck soll Bundespräsident werden Stratege Gabriel genießt seinen Coup

Berlin (RPO). Sigmar Gabriel hat derzeit einen Lauf. Mit der Nominierung von Joachim Gauck für das Amt des Bundespräsidenten gelang dem SPD-Chef ein Coup, der selbst den politischen Gegner beeindruckt. Der einstige Pop-Beauftragte seiner Partei hat sich zu einem Strategen entwickelt und macht der chronisch kriselnden Volkspartei Hoffnung für neue Höhenflüge.

Sigmar Gabriels langer Weg an die Spitze
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Das Presse-Echo der vergangenen Tage wirkt wie Balsam auf die geschundene Seele der Sozialdemokraten. Die Sonntagspresse lobt die Berufung des ehemaligen Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen in den höchsten Tönen.

Die "Bild am Sonntag" dichtet "Yes we Gauck!". Der Hamburger "Spiegel" nennt Gauck auf dem Cover schlicht "den besseren Präsidenten". Die linke "taz" nennt ihn "Merkels idealen Präsidenten" und druckt süffisant Merkels Laudatio zu Gaucks 70. Geburtstag nach. "Danke, dass es Sie gibt. Danke, dass Sie weiter da sind", rief die Kanzlerin dem Jubilar Ende Januar zu. Die konservative "Welt am Sonntag" widmet ostdeutschen FDP-Politikern, die gerne für Gauck stimmen würden, ihren Aufmacher.

"Siggi Pop" zeigt sich staatsmännisch

In der Tat: Der ehemalige Umweltminister Gabriel macht in Sachen Bundespräsident alles richtig. Nach Köhlers Rücktritt verzichtet der Mann aus Goslar gewissenhaft auf Spott und Häme gegen das ehemalige Staatsoberhaupt. Er bedaure den Rücktritt außerordentlich, lässt Gabriel wissen. Den vergangenen Montag nennt er einen schlechten Tag für die Demokratie. Der 50-Jährige gibt sich beinahe staatsmännisch. Schließlich war es die Fraktion der Grünen, die Köhler letztlich mit scharfen Anfeindungen und einem geschmacklosen Lübke-Vergleich aus dem Amt jagte.

Staatsmännisch und ruhig, so gibt sich der ehemals als "Siggi Pop" belächelte Gabriel auch in den folgenden Tagen. In einer langen und nahezu zurückhaltenden SMS an die Kanzlerin schlägt Gabriel Joachim Gauck als Kandidaten vor, den Union, SPD, FDP und Grüne gemeinsam wählen können. Die Kanzlerin macht vom Angebot keinen Gebrauch. "Danke für die Info und viele Grüße" schrieb die Kanzlerin dem Vernehmen nach knapp zurück. Und entschied sich für Wulff, der von Beobachtern als kleinster gemeinsamer Nenner gewertet wird.

Gabriel schaut zu, schweigt und genießt

Die SPD steht nach der Ablehnung der Kanzlerin blendend da. Die SPD hat Horst Köhler nicht aus dem Amt getrieben. Die SPD hat der Kanzlerin angeboten, keinen Gegenkandidaten aufzustellen. Die SPD präsentiert in Gauck einen Mann, der auch im bürgerlichen Lager höchsten Respekt genießt. Nebenbei setzt er die Linke unter Druck. Denn lehnt die Linke Gauck tatsächlich wie angekündigt ab, stellt die SED-Nachfolgepartei erneut ihr unentschlossenes Verhältnis zum Gewaltregime der Staatssicherheit unter Beweis. Für eine Partei die auch im Westen Fuß fassen will, eine Blamage sondergleichen.

Sigmar Gabriel genießt und schweigt. Denn auch in NRW beweist seine Partei, die in den vergangenen Monaten und Jahren von einer Verlegenheit in die nächste stolperte, taktische Intelligenz und politische Professionalität. Denn NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft umschiffte mit Rückendeckung der Parteispitze in Berlin die Ypsilanti-Falle und behielt in den hektischen Tagen nach dem Urnengang die Übersicht. Nach dem doppelten Umfaller der Liberalen hat die Mülheimerin knapp einen Monat nach der Wahl immer noch die Chance Ministerpräsidentin zu werden. Und sollte es doch zu einer großen Koalition mit der CDU kommen: Die Genossen diktieren in Düsseldorf die Preise.

Gabriel ist im Bundestag der Chef im Ring

Auch im Bundestag ist Gabriel der Chef im SPD-Ring, nicht etwa Wahlverlierer und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Gabriel verschrieb seiner Partei einen Drahtseilakt zwischen konstruktiver Mitarbeit und radikaler Opposition. In der Afghanistan-Debatte stellen sich die Genossen hinter den Bundeswehr-Einsatz und verzichteten auf billige Abzugs-Rhetorik. Beim in der Bevölkerung heftig umstrittenen Rettungsschirm für Griechenland setzte die SPD indes auf einen Knalleffekt. Als die Regierung Forderungen der Genossen nicht erfüllen wollten, enthielt sich die Mehrheit der Abgeordneten der Stimme. Dass man hier mit einem Auge auf die nächste Wahl schielte, verwundert niemanden.

Ein Kurs der aufgeht? Fraglich. Zwar profitiert die SPD derzeit vom desaströsen Erscheinungsbild der schwarz-gelben Regierung in Berlin. Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer würden derzeit 29 Prozent die SPD wählen. Gemessen an erdrutuschartigen Verlusten der vergangenen Zeit ein kleiner Hoffnungsschimmer. Aber für eine Partei, die bald den Kanzler stellen will, viel zu wenig. Es wartet viel Arbeit auf Sigmar Gabriel. Denn dass er Kanzler werden will, daran besteht nicht erst nach seinem Gauck-Coup kein Zweifel.

(RPO)
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