Gott Und Die Welt Als der Sommerurlaub noch "große Ferien" hieß

Früher sind die großen Ferien das Versprechen und die Erfüllung eines Glücks ohne Ende gewesen. Unser Urlaub heute ist eine aufwändige Angelegenheit; er dient vor allem der Erholung.

Dass sich der Weg zum Frühstücksbäcker verzögerte, lag diesmal an den Nachbarn. Genauer: an der ungemein spannend zu beobachtenden Urlaubs-Bestückung ihres Fahrzeugs. Dazu muss man wissen, dass die Nachbarn — neben den üblichen Accessoires — nicht nur Lesestoff mitnehmen. Das wäre eine literarische Untertreibung. Vielmehr ist es so, dass sie ihre Bibliothek an den Urlaubsort verlegen. Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, als werde im Kofferraum die Bibliothek ganz neu sortiert. Dabei vergeht Zeit, die man eigentlich nicht hat, schon gar nicht im Urlaub.

Vielleicht ist das auch so ein Fallstrick des Urlaubs — das Gefühl von Zeitnot und Endlichkeit. Das muss früher anders gewesen sein, als der Urlaub noch Ferien und in seiner pompösen Variante auch Sommerfrische hieß. Bei Sommerfrische denke ich sofort an Hutschachteln, hölzerne Überseekoffer und begleitendes Dienstpersonal. Doch leider gibt es gutes Personal ja kaum noch, könnte man jetzt so ein bisschen protzig klagen.

Bleiben noch die Ferien, im Sommer auch gerne große Ferien genannt. Das war eine Zeit, in der Grillen zirpten, die Entdeckung eines kleinen Frosches die Entdeckung eines großes Tages war, in der es Sonnenbrand gab und Sonnenschutz nur von Nivea. Langnese hatte zwei Cocktail-Becher im Programm, an denen sich die Geister schieden: entweder mit Erdbeer- oder mit Johannisbeer-Rand. Ferien war die Zeit der aufgeschlagenen Kniee und der Mückenstiche, die heimlich aufgekratzt wurden und komischerweise auch nach dieser Eigentherapie das Jucken nicht sein lassen konnten. Ob es der Wagen bis zum Ferienort schaffte, war nicht unbedingt sicher. Und am Ort der Bestimmung angekommen, schreckte auch das Schild "Fremdenzimmer" nicht. Ferien war der Endzweck und die Erfüllung von fast allem. Und der Urlaub? Urlaub ist keine anarchisch freie Zeit mehr, sondern eine Episode der dringlichen Erholung. Der Urlaub beginnt mit der Aktivierung des Abwesenheitsassistenten und daheim mit der vor Jahren am PC erstellten Liste, was alles unbedingt in den Koffer muss. Ferien werden geschenkt und sind plötzlich da; Urlaub wird genommen und ist urplötzlich vorbei. In den Ferien kann alles passieren, im Urlaub muss vieles gelingen. In die Ferien fuhr man einfach los, für den Urlaub müssen die Nachbarn für den Briefkasten-, Blumen- und Gartendienst gefragt und instruiert werden. Apropos Nachbarn: Die waren jetzt einfach weggefahren. Und wer macht jetzt bitte schön die komplette Urlaubsvertretung daheim?

Vielleicht sollte man einfach mal wieder nur Ferien machen.

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(RP)
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