Ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Käßmann — ein Jahr danach

Düsseldorf (RP). Am 24 Februar 2010, vier Tage nach ihrer Alkoholfahrt durch Hannover, trat Margot Käßmann von allen kirchlichen Ämtern zurück. Ihre Rolle in der Öffentlichkeit hat sie bis heute noch nicht recht gefunden.

2010: Margot Käßmann erklärt ihren Rücktritt
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Morgens um sechs Uhr am 24. Februar 2010, einem Mittwoch, steht die hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, in ihrer Küche. Sie sagt zu ihrer jüngsten Tochter Esther: "Ich glaube, es hat keinen Sinn mehr zu sagen, ich kämpfe um dieses Amt." Zehn Stunden später erklärt Margot Käßmann mit 21 Sätzen ihren Rücktritt von allen Kirchenämtern. Es tue ihr leid, sie enttäusche viele, die sie in Ämter gewählt hätten, sagt sie, dankt für die Grüße und Ermunterungen und fügt hinzu, "aus vorangegangenen Krisen" habe sie eines gelernt: "Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand."

Der Satz wird bleiben. Aus der Bischöfin wird in diesen Minuten eine Heldin der deutschen Öffentlichkeit. Vier Tage zuvor, am Samstagabend, ist Käßmann vor ihrer Garage in Hannover von einem Polizeibeamten angesprochen worden, weil sie eine rote Ampel in der Innenstadt missachtet hat. Die Bischöfin ist offensichtlich alkoholisiert. 1,54 Promille ergibt der Bluttest. Am Dienstag steht die Sache in der "Bild". Ab da geht alles ganz schnell.

Ein Jahr ist es jetzt her, dass die EKD die Charismatikerin Käßmann nach nur viermonatiger Amtszeit wieder verloren hat. Der Fall Käßmann war der Rücktritt des Jahres 2010 — weniger wegen der Bedeutung der Zurücktretenden, sondern und vor allem wegen seiner Art und Weise: schnörkellos, selbstkritisch, ohne Larmoyanz.

Hochachtung für Rücktritt

Der Rücktritt hat Käßmann auch deshalb solche Hochachtung eingetragen, weil er sich wohltuend abhob von den mal kleinkarierten, mal hochmütigen Klammerübungen, mit denen sich mancher politische Funktionär ans Amt krallt. Der ungeheuerliche Satz von Heide Simonis "Und was wird aus mir?" war bei Käßmann undenkbar. Sie setzte am 24. Februar 2010 fort, was sie mit ihrem Predigtsatz "Nichts ist gut in Afghanistan" an Neujahr begonnen hatte: wie man sich trotz öffentlicher Verantwortung nicht der Logik des politischen Betriebs unterwirft. "Nichts ist gut in Afghanistan" war politisch eine unzulässige Zuspitzung — entsprechend harsch waren die politischen Reaktionen —, zugleich aber der Anstoß für eine öffentliche Debatte über Krieg und Frieden, die bis heute nicht beendet ist.

Der deutsche Protestantismus wurde von Käßmanns Rücktritt hart getroffen. Sie selbst aber wusste es zu verhindern, dass die Sache sich zur Katastrophe auswuchs, indem sie sich in der Folge als quasi-kirchliche Konkurrenz zu ihrem Nachfolger Nikolaus Schneider inszeniert hätte. Margot Käßmann hat seit dem 24. Februar 2010 unbezweifelbar stets als Privatperson gesprochen. Die Einladung des Verteidigungsministers nach Afghanistan lehnte sie ab, nachdem Schneider seine Reise dorthin angekündigt hatte.

Noch keine neue Rolle

Trotzdem: Ihre Rolle in der deutschen Öffentlichkeit hat Käßmann noch nicht gefunden. Ihr Bild flimmert noch. Zunächst gab sich Käßmann als hauptberufliches Opfer: Opfer der Medien, die ihr nach der Alkoholfahrt genüsslich frühere Mahnworte gegen Alkoholmissbrauch vorhielten, Opfer der Politik-Profis, die ihren Afghanistan-Satz mit der Aufforderung konterten, sie möge doch mit den Taliban im Zelt bei Kerzenschein über Frieden verhandeln. Wo immer sie auftauchte — Käßmann redete von sich, immer wieder.

Mit dieser Masche ruinierte sie zum Beispiel beim Ökumenischen Kirchentag im Mai ihren theologischen Hauptvortrag, der die Kirchen als Hoffnungszeichen behandeln sollte, sich am Ende aber doch wieder um Margot Käßmann drehte. In ihrer Antrittsvorlesung als Gastprofessorin in Bochum im Januar vermied sie diesen Fehler und hielt stattdessen wenn auch keine wissenschaftliche Vorlesung, so doch eine politische Grundsatzrede über die multikulturelle Gesellschaft.

Die beiden Termine bezeichnen die Möglichkeiten Margot Käßmanns für das Jahr zwei nach dem großen Rücktritt: Sie kann versuchen, als ungebundene Intellektuelle Deutschland Unbequemes ins Stammbuch zu schreiben. Dass es Kritiker gibt, die sagen, ihr fehle dazu die Substanz, muss kein Hindernis sein — Käßmann braucht gar keine verstiegenen Gedankengebäude zu errichten. Die Öffentlichkeit, vor allem ihr weiblicher Teil, schätzt sie ohnehin eher als handfeste, lebenskluge Ratgeberin.

Käßmanns Gastprofessur in Atlanta Ende 2010 scheint die Empfindlichkeiten gemildert zu haben. Mitunter ist trotzdem noch die andere Margot Käßmann zu sehen, die selbstgerechte Margot Käßmann der ersten Monate nach dem Rücktritt. Sie klagt dann über das öffentliche Interesse an ihr, weil es in eine andere Richtung gehe, als sie gern hätte — wo sie doch als Publizistin und Professorin von genau diesem öffentlichen Interesse lebt.

Jüngst zu besichtigen war das am Beispiel des "Preises für Zivilcourage". Die Kulturstiftung "Pro Europa" wollte ihn Käßmann verleihen — begründet unter anderem damit, sie habe mit ihrem Rücktritt zu ihrer Verantwortung gestanden. Bereits das war ein recht verwegener Gedankengang, schließlich blieb unerwähnt, dass die Bischöfin zuvor betrunken die Gesundheit anderer aufs Spiel gesetzt hatte. Dann aber lehnte Käßmann die Ehrung ab mit der Begründung, teilweise werde "dieser Preis ausschließlich mit meinem Rücktritt in Verbindung gebracht" — gerade so, als sei ihre Stellung Anfang 2011 ohne den 24. Februar 2010 überhaupt vorstellbar.

Fürs Erste verlegt sich Margot Käßmann auf das, was sie in den vergangenen Jahren schon fleißig und erfolgreich getan hat: öffentlich reden (jetzt als Gastprofessorin in Bochum) und schreiben. Die Notizen ihres USA-Aufenthalts hat sie soeben zu Papier gebracht. Erscheinungstag: 3. März. Der Erfolg wird groß sein.

(RP)
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