Der Fall Barschel Ein Rätsel auch nach 25 Jahren

Düsseldorf · Am 10. und 11. Oktober 1987 kulminierte eine der großen Politik-Affären. Man fand den kurz zuvor zurückgetretenen Kieler Regierungschef Uwe Barschel tot in der Badewanne seines Genfer Hotel-Appartements. Beging Barschel Selbstmord? Wurde er liquidiert? Leistete ihm jemand Sterbehilfe?

Barschel - Selbstmord oder Mord?
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Foto: AP

Am Donnerstag vor 25 Jahren schlichen zwei Reporter des "Stern" durch die Flure des Genfer Hotels "Beau Rivage". Die beiden waren auf der Suche nach Uwe Barschel. Der war Anfang Oktober 1987 als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zurückgetreten, nachdem er zur Hauptfigur einer bundesrepublikanischen Politik-Affäre um Bespitzelung, Intrigantentum, Lügengespinste geworden war.

An der Tür des Hotelzimmers 317 stutzten die Rechercheure. Am 10. Oktober 1987 hatte Uwe Barschel aus Gran Canaria kommend im "Beau Rivage" eingecheckt. Am 11. Oktober, gegen 11 Uhr, war vom Hotelgast noch immer nichts zu sehen. Sehr seltsam kam das den Reportern vor. Noch merkwürdiger erschien es ihnen, dass die Tür zu 317 nicht ins Schloss gefallen war. In den "Stern"-Männern kochte das Reporterblut; sie betraten — ahnungsvoll? — durch die angelehnte Tür das Appartement.

Im Vorraum, im Wohn-Schlafbereich — keine Spur von Barschel. Im Bad jedoch fanden die beiden den Gesuchten — leblos und angekleidet in der Badewanne liegend. Der zur Seite geneigte Kopf ragte aus der mit Wasser gefüllten Wanne. Der Fotograf drückte den Auslöser seiner Kamera — das Bild des Jahres war in der Welt.

Schnell in der Welt war auch die plausibel klingende Geschichte von der Selbsttötung eines CDU-Spitzenpolitikers der jüngeren Garde (Barschel wurde nur 43), der im Zuge der Kieler "Waterkantgate"- Affäre jäh Reputation und Spitzenposten verloren hatte. Also Suizid eines Schuldigen, eines verzweifelten Mannes, dessen berühmtes Ehrenwort auf einer Pressekonferenz am 18. September, dass nämlich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe haltlos seien, in sich zusammenzufallen schien?

Was war dem rätselhaften Tod in Zimmer 317 vorausgegangen? Barschel, der 1982 zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, hatte am 13. September 1987 eine Landtagswahl zu bestehen. Der Sieg schien gefährdet zu sein. Gegenspieler Björn Engholm von der SPD war ein ernst zu nehmender Rivale. Barschel versicherte sich der Dienste des Medienreferenten Reiner Pfeiffer. Den durfte man später als einen Lügenbold bezeichnen, ohne Gefahr zu laufen, dafür juristisch belangt zu werden. Am Tag vor der Wahl — die Story war so heiß, dass der "Spiegel" sie vorab bekannt machte — fungierte der zwielichtige Pfeiffer im Blatt als Belastungszeuge gegen seinen Chef. Dieser habe ihn auf Engholm angesetzt, um Engholm mit Hilfe schmutziger Tricks zu diskreditieren. Eindeutig nachgewiesen wurde eine Anstiftung nicht.

Am Wahltag sackte Barschels CDU ab, und Engholms SPD wurde stärkste Partei. Damals ging Engholms Stern auch bundesweit auf. Er wurde später sogar SPD-Bundesvorsitzender, blieb es aber nicht lange, weil er öffentlich einräumen musste, viel früher als bislang behauptet von den miesen Tricks des Referenten Pfeiffer gewusst zu haben. Gemunkelt wurde, dass Pfeiffer seine Dienste nicht nur der CDU, sondern auch der Kieler SPD angedient habe; von 40 000 Mark in bar an Pfeiffer, wofür auch immer, war in der SPD-"Schubladen-Affäre" die Rede. Hat der unheimliche Pfeiffer womöglich politisches "Dirty dancing" auf zwei Parteihochzeiten veranstaltet?

Einen Tag nachdem man Barschel tot aufgefunden hatte, sollte der Ex-Ministerpräsident vor dem Untersuchungsausschuss des Kieler Landtages aussagen. Barschels Ehefrau Freya, die nie an Suizid geglaubt hat, erklärte seinerzeit, ihr Mann habe in Genf einen Mann namens Roloff treffen wollen, der ihm entlastendes Material für die Zeugenaussage aushändigen wollte. Niemand hat den mysteriösen Roloff je gesehen. Es könnte ihn dennoch gegeben haben, sogar als Hotelzimmergast in jener nie mehr voll auszuleuchtenden Todesnacht vor 25 Jahren.

Denn Ende Juli dieses Jahres verdichteten sich Vermutungen, dass Barschel nicht allein im Zimmer gewesen war. An Asservaten wie Barschels Socken, Strickjacke und Schuhen waren DNA-Spuren gesichtet worden, die vom Toten sowie einem Dritten stammten. Wer könnte dieser Dritte gewesen sein? Heinrich Wille, vor seiner Pensionierung Leitender Oberstaatsanwalt in Lübeck, war und ist neben Freya Barschel der streitbarste Verfechter der Mord-Theorie. Sie fand im Laufe der Jahre mehr Anhänger, weil eine Reihe von Indizien auf Tod durch Fremdeinwirkung deuten.

Gesichert ist, dass Barschel nach nicht gleichzeitiger Einnahme (oder Verabreichung) von vier Medikamenten gestorben ist. Nach Untersuchung durch den Zürcher Toxikologen Hans Brandenberger waren die Mittel in unterschiedlicher Konzentration im Magen, Blut und Urin des Leichnams verteilt. Barschel, so Brandenberger, hätte sich die letztlich tödliche Dosis von Cyclobarbital nicht mehr selbst zuführen können, weil die zuvor ins Blut gelangten drei anderen starken Beruhigungsmittel ihn bereits handlungsunfähig gemacht hätten. Das Cyclobarbital muss Barschel demnach verabreicht worden sein. Ein Münchner Toxikologe fand bei einer Nachuntersuchung einen Wirkstoff im Körper des Toten, der salopp zur Kategorie K.O.-Tropfen gezählt wird, was wiederum die Mordtheorie stützen könnte.

Der Unbekannte im Zimmer könnte auch ein von dem verzweifelten Barschel beauftragter Sterbehelfer gewesen sein. Die Spurenlage im Zimmer — eine Haarspur verschwand aus der Asservatenkammer — nährt Spekulationen: Wo ist die Flasche Rotwein verblieben, die ein Kellner aufs Zimmer gebracht hatte? Warum war ein geleertes Whisky-Fläschchen aus der Minibar ausgespült worden? Von wem stammt die Schuhabdruck-Spur auf der Badematte?

Kiels Generalstaatsanwalt Erhard Rex hielt die Mord-Mutmaßungen weder für stichhaltig noch für belegbar. Es sei so, dass die Gerüchteküche brodele, wenn ein Prominenter unter ungeklärten Umständen ums Leben komme. Auch das Entdecken der neuen DNA-Spuren führt nicht dazu, dass die 1994 schon einmal begonnenen, 1998 eingestellten Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Mordverdachts erneut aufgenommen werden. Der Rechtsstaat stößt wohl in diesem rätselhaften Fall an seine Grenzen.

(RP/csi/das)
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